Die im Dunkeln sieht man nicht

■ Anhörung zum „Anti–Terror–Gesetz“ / Verfassungsschützer Lochte gegen Paragraph 129 a–Erweiterung

Aus Bonn Oliver Tolmein

Die Unionsparteien hatten sich die Anhörung im Rechtsausschuß einfacher vorgestellt. Auf ein paar Bedenken seitens der Experten war man zwar gefaßt, daß aber mit Ausnahme von BKA–Chef Boge und Generalbundesanwalt Rebmann fast niemand für die sogenannte Kronzeugenregelung eintreten mochte, schien die Konservativen doch zu erstaunen und den FDP–Kritikern der Gesetze, Baum und Hirsch, einen geringen Hoffnungsschimmer zu lassen. Schlechte Noten bekam die Kronzeugenregelung, die in Wirklichkeit eine Informantenregelung sei, vom Präsidenten des Bundesgerichtshofes Pfeiffer: sie ermögliche es dem Generalbundesanwalt, seinen Informanten dem Zugriff des Gerichts völlig zu entziehen: „Näheres über den Zeugen ist dann überhaupt nicht zu erfahren, niemand hat die Möglichkeit, seine Glaubwürdigkeit zu erschüttern“. Fortsetzung Seite 2 Kommentar Seite 6 So werde in dem Gesetz nicht einmal eine Güterabwägung vorgenommen, die die Tat des Informanten in Beziehung zu dem setze, was seine Aussage eventuell aufklären helfe. Aus ähnlichen Gründen lehnten auch der Deutsche Richterbund und die Gruppe Richter und Staatsanwälte in der ÖTV diese Informantenregelung ab. Noch schärfere Worte kamen vom Vertreter der Bundesrechtsanwaltskammer, der darauf hinwies, daß das „unübersichtliche Beziehungsgeflecht, das durch so eine Regelung in die Hauptverhandlung eingebracht wird“ von keinem Prozeßbeteiligten mehr kontrolliert werden könne. Außerdem werde dadurch freie Bahn für den Einsatz von Under Cover– Agenten gegeben, die dann nach Belieben und vom Generalbun desanwalt geschützt auch Straftaten begehen könnten. Dem konnten der Generalbundesanwalt und sein getreuer Unterstützer, der Präsident des BKA, Boge, nur fromme Wünsche entgegensetzen: Rebmann verwies darauf, daß man ihm und seiner Behörde vertrauen müsse, Boge äußerte, das Umfeld der RAF habe keine starre Ideologie und könne deswegen zu beeinflussen sein. Diese Behauptung tat der Chef des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz, ohne das ausdrücklich zu sagen, als baren Unsinn ab. Seine ausführliche Stellungnahme, die sich die Vertreter der CDU und die FDP–Befürworter des Gesetzentwurfes Kleinert und Staatssekretär Kinkel lieber garnicht anhörten, war die Überraschung des Tages. Lochte bezeichnete nämlich nicht nur die sogenannte Kronzeugenregelung als schädlich, er lehnte auch die geplante Erweiterung des § 129 a als fast einziger Experte eindeutig ab: Aktionen wie das Strommastumsägen haben seiner Meinung nach mit „terroristischen Aktivitäten“ nichts gemeinsam; es gelte vielmehr „als eine von mehreren Formen gewaltfreien Widerstands“ und sei durchaus auch eine Aktionsform „bürgerlicher Anti– AKW–Gegner, die den demokratischen Staat nicht grundsätzlich in Frage stellen wollen“. Und auch die Autonomen seien alles andere als das „Umfeld der RAF“ oder eine „terroristische Vereinigung“. Die sogenannte Kronzeugenregelung sei schädlich, weil sie der RAF und ihren verschiedenen Ebenen suggeriere, ihre Strategie, das imperialistische System anzugreifen, habe eine echte Chance. Außerdem zeigten alle Beispiele von Aussteigern, daß diese kein Interesse an einem Verrat hätten. Die wenigen Aussagen, ehemaliger RAF–Mitglieder seien außerdem voller Widersprüche und vor Gericht kaum akzeptiert worden. Auch andere Praktiker des Rechtsstaates, wie der Polizeipräsident von Düsseldorf, Lisken, äußerten erhebliche Zweifel. Er kritisierte, die italienischen Erfahrungen mit der Reuigen–Regelung hätten sich in der Begründung zum Gesetzentwurf nicht niedergeschlagen. Das erscheint um so erstaunlicher, als eine hochrangig besetzte Delegation des Justizministeriums in Italien war, um sich zu informieren - bisher aber keinem Parlamentsgremium ein Bericht zugänglich gemacht wurde. Der Frankfurter Strafrechtsprofessor Hassemer, der eine Resolution von 80 Strafrechtsprofessoren gegen die Kronzeugenregelung mitgebracht hatte, führte an, man komme ja auch nicht auf die Idee, die Folter einzuführen, um das Leben von Geiseln zu schützen. So wie die Folter sei auch die Kronzeugenregelung in der Bundesrepublik nicht rechtsverfügbar. Die Anhörung dauerte bei Redaktionsschluß noch an.