Lust und Laster

■ Heute findet der „Internationale Anti–Raucher–Tag“ statt / Vom unaufhaltsamen Abstieg des Glimmstengels

„Haben sie mal Feuer?“ fragt der Herr die Dame, die er gerne näher kennenlernen möchte. Heute: „Haste mal ne Mark?“ „Darf ich Ihnen Feuer geben?“ fragt er galant, wenn sie wie geistesabwesend mit einer unangezündeten Zigarette spielt, weil sie den Herrn gerne näher kennenlernen möchte. Das waren noch Zeiten, als Rauchen eine kokette Geste oder ein geselliges Ereignis war, als es noch als unfein galt, vor dem Frühstück oder auf der Straße zu rauchen, als es selbstverständlich war, nicht nur sich selbst, sondern auch die anderen aus der Schachtel zu bedienen. „Rauche - staune - gute Laune!“ Der zarte Dunst umhüllte Partygesellschaften der 50er und Diskussionsrunden der späten 60er Jahre mit einem trauten Schleier. Wie giftig er ist und wie unverschämt den unfreiwillig Mitrauchenden gegenüber, rückte erst das erwachende ökologische Bewußtsein so recht ins Licht, obwohl man das natürlich auch damals schon wußte. Vorbei die Zeit der goldenen Zigarettenetuis, der klobigen Tischfeuerzeuge und der formschönen Zigarettenspender. Heute heißt es „Rauchverbot!“, alles klatscht - und die Raucher verdrücken sich in die hinteren Reihen, weil sie ohne den länglichen Schnuller keinen klaren Gedanken mehr fassen können. Sie fühlen sich verachtet und gebrandmarkt und könnens trotzdem nicht lassen. Rauchen ist vom gesellschaftlichen Ritual zur individuellen Sucht geworden. Wer sich in einsamer Kraftanstrengung von der üblen Gewohnheit lösen will, den locken mörderische Kampagnen wie „Ich rauche gern!“ oder die Aufforderung des Vereins zur Förderung des Tabakwareneinzelhandels, sich gegen Rauchverbote zu wehren, auf den süßen Pfad des Lasters zurück. Schließlich geht es um einen weltweiten Jahresumsatz von 300 Milliarden Mark. So bleibt dem zwischen Gewissen und Verlockung zerrissenen Süchtigen der tägliche Kampf nicht erspart: Nein, keine neue Schachtel kaufen, statt dessen die verzweifelte Frage an den Kollegen: „Haste mal ne Zigarette für mich?“ Imma Harms