Das „Jahrhundertprojekt“ des Joschka F.

■ Um den Chemie–Multis Paroli bieten zu können, plant der hessische Umweltminister ein interdisziplinäres Forschungszentrum für industrielle Abfallwirtschaft Das nordhessische Borken als „Wunschstandort“ benannt / Das Projekt ist im Kabinett abgesegnet, die konkrete Planung hat begonnen

Von Klaus–Peter Klingelschmitt

Frankfurt(taz) - Regierende Politiker aller Zeiten waren stets bestrebt, der Nachwelt ein „Denkmal“ eigener Art zu hinterlassen. Und während sich heute Herr Mitterrand und Frau Thatcher via Tunnel unter dem Ärmelkanal „unsterblich“ machen wollen, plant der erste grüne Minister dieses Planeten ein „Jahrhundertprojekt“, das aus der Not „geboren“ wurde. Ein gigantisches Zentrum für industrielle Abfallwirtschaft, das Hessen aus dem „alchemistischen Zeitalter“ hinaus– und direkt ins „wissenschaftliche Zeitalter“ hineinkatapultieren werde, so Minister Fischer, soll im nordhessischen Borken entstehen. Durch interdisziplinäre Zusammenarbeit von Industrie, Wissenschaft, Forschung und Lehre könne - in etwa vier Jahren - der Chemieindustrie, die sich bis heute weigere, ihre Forschung in den Dienst der Abfallvermeidung und -beseitigung zu stellen, endlich „auf wissenschaftlichem Niveau“ Paroli geboten werden. Im einzelnen plant Fischer, am „Wunschstandort“ Borken so wohl eine Hochtemperatur–Sondermüllverbrennungsanlage als auch ein „Pilotprojekt Hochsicherheitsdeponie“ einzurichten - alles eingebettet in ein Forschungs– und Entwicklungszentrum, das an die Gesamthochschule Kassel angebunden werden soll. Mit einer Investitionssumme von rund 400 Millionen DM soll in Borken eine Fläche(“Industriebrache“) von insgesamt 18 Hektar zugebaut werden. Das Gesamtprojekt, so Minister Fischer, werde der strukturschwachen Region etwa 500 Arbeitsplätze bringen - in vier Jahren nach der Inbetriebnahme der Anlage. Aber das trifft sich gut, denn ab etwa 1990, wenn das Borkener Kohlekraftwerk der PREAG mangels regionaler Braunkohle stillgelegt werden wird, ist in Borken und Umgebung mit Massenarbeitslosigleit zu rechnen. Die PREAG weigert sich nämlich standhaft, das Kraftwerk Borken etwa auf Steinkohle umzurüsten. Der Konzern hält weiter an seinen Plänen fest, dem Braunkohlekraftwerk eine Atomkraftwerk folgen zu lassen, ein Ansinnen, das die hessische Landesregierung und die sie tragen den Parteien(SPD und Grüne) bereits zurückgewiesen haben. Daß Fischer mit seinem Projekt deshalb in Borken auf wenig Widerstand stoßen wird, versteht sich. Joschka Fischer und Hessens Finanzminister Hans Krollmann haben denn auch bereits vor Wochenfrist das Terrain in Borken sondiert. Wie Fischer auf einer Landtags–Pressekonferenz mitteilte, sei sein Vorhaben bei den Parteien in Borken auf „wohlwollendes Interesse“ gestoßen. Anders als etwa in dem als Standort für eine Sondermüllverbrennungsanlage „in die engere Wahl“ gekommenen Grebenau, das in einem idyllischen Vogelsbergtal gelegen ist, sei in Borken darüber hinaus genügend Industriebrachland vorhanden, so daß „Eingriffe in die Natur“ nicht zwingend notwendig seien. Der „Würfelzucker“ Arbeitsplätze soll demnach auch in der Ära Fischer den Betroffenen den Biß in den sauren Apfel Chemiemüll– Entsorgung versüßen. Hessens Probleme mit dem Chemie–Müll Seit seinem Amtsantritt kämpft Fischer einen bisher vergeblichen Kampf gegen die vornehmlich in Südhessen konzentrierte Chemieindustrie, die der Hessischen Industriemüll GmbH (HIM) tonnenweise ihre Giftabfälle zur Entsorgung überläßt. Die Kapazitäten der bisher einzigen hessischen Sondermüll–Verbrennungsanlage in Biebesheim bei Darmstadt - abgesehen von der „hauseigenen“ Verbrennungsanlage der Hoechst AG - sind erschöpft; Deponiekapazität steht nicht zur Verfügung und der Giftmüllexport nach Schönberg(DDR) wurde letzte Woche vom Darmstädter Verwaltungsgericht per einstweiliger Verfügung gestoppt (die taz berichtete). Der Einfluß des hessischen Umweltministers auf die Chemieindustrie, respektive auf die IG–Chemie, ist minimal, denn in den Chefetagen der Konzerne stehen die Vorstandsmitglieder dem grünen Minister eher feindselig gegenüber. Die Forderungen der Grünen auf den direkten Eingriff in die Produktionstechniken der Konzerne, die sogenannte Abfallreduzierung an der Quelle, bleibt demnach mittelfristig noch „Wunschdenken“ derer, die nicht „regierungsamtlich“ in die Abfallgeschäfte involviert sind. In einem sozialdemokratisch dominierten Kabinett wiegen eben die 40.000 Arbeitsplätze bei der Hoechst AG allemal schwerer als die Sorgen des grünen Kollegen. Seitdem die Experten - und die Gerichte - der Landesregierung die Pläne für die Einrichtung einer Giftmüll–Deponie in Mainhausen um die Ohren gehauen haben, muß sich Fischer jetzt auch um die Stoffe der Abfallkategorie I kümmern, die in Mainhausen einge bunkert werden sollten. Mit seinem Plan für ein Pilotprojekt Hochsicherheitsdeponie, in Kombination mit der Hochtemperatur– Verbrennungsanlage, hofft Fischer jetzt - zumindest mittelfristig - seiner dringendsten Probleme ledig zu werden. Das Börner–Kabinett hat das „Jahrhundertprojekt“ Fischers inzwischen abgesegnet, so daß die Spezialisten seines Hauses ab sofort mit der konkreten Planung beginnen können. Fischer: „Dann wird in Hessen ein neues Abfall–Zeitalter anbrechen.“