„Wehrkraftzersetzung“ im Apartheidtstaat

■ Die zunehmende Kriegsdienstverweigerung wird zum Problem für die Buren–Regierung

Johannesburg (taz) - Es ist eine „subversive Aussage, das System der Wehrpflicht in Miskredit zu bringen oder zu unterminieren“. Diese Bestimmung im seit dem 12. Juni 1986 in Südafrika gültigen Ausnahmerecht gilt ausdrücklich einer einzigen Organisation: der „Kampagne zur Beendigug der Wehrpflicht“ (ECC). Bei Übertretung dieser Bestimmung drohen ECC–Mitgliedern zehn Jahre Gefängnis und/oder eine Geldstrafe von 20.000 Rand (DM 20.000). Ohnehin wurden zahlreiche ECC–Mitglieder aufgrund des Ausnahmerechts verhaftet, einige sind noch immer hinter Gittern, die Aktivitäten von anderen wurden per Dekret drastisch eingeschränkt. Die Organisation ist in den Untergrund getrieben worden. Dennoch ist die ECC im Ausnahmezustand nicht zusammengebrochen. Bei beliebten kulturellen Veranstaltungen taucht die ECC auch jetzt noch auf.Da ein direkter Aufruf zum Widerstand gegen die Wehrpflicht unmöglich ist, sind in letzter Zeit gelbe Bänder zum ECC–Symbol geworden. Bei einem Straßenfest tragen plötzlich zahlreiche Leute eine gelbe Schleife im Haar, bei den verpönten 100–Jahr–Feiern der Stadt Johannesburg zog sich ein gelbes Band von Parkuhr zu Parkuhr. Doch es bleibt nicht bei diesen eher stummen Protesten. Seit 6 Jahren aktiv Die Organisation schafft es auch, sich weiterhin über die Medien zu artikulieren. Regelmässig liegen Presseerklärungen in Briefkästen der großen Zeitun gen. Vor dem Medienrat, dem Aufpassergremium der Presse, klagte die ECC kürzlich erfolgreich gegen grob diffamierende und entstellende Artikel in einem rechten Nachrichtenblättchen. Und im Oktober versammelten sich mehrere Frauen zu einem stillen Sit–in vor der Johannesburger Militärkommandantur. Sie wurden prompt verhaftet und angeklagt. Der Widerstand gegen den Kriegsdienst begann Anfang der 80er Jahre mit einer Gruppe von jungen Männern, die aus Gewissensgründen verweigerten und dafür ins Gefängnis kamen. 1983 reagierte die Regierung mit einem neuen Gesetz auf die drohende „Zersetzung des Wehrwillens“. Kirchengruppen, Black Sash und andere Organisationen starteten daraufhin eine Kampagne zur Veränderung des Kriegsdienstgesetzes. Diese Kampagne mündete in die Gründung der „End Conscription Campaign“, die mit dem Einsatz der südafrikanischen Armee in schwarzen Townships sehr schnell bei den weißen Wehrpflichtigen auf Interesse stieß. Ein Drittel verweigert So sind 1985 von 30.000 Wehrpflichtigen fast 8.000 dem Einberufungsbefehl nicht gefolgt. Im Vorjahr waren es nur 2.000. Für 1986 verweigerte das Verteidigungsministerium die Bekanntgabe solcher Zahlen, da sie „von einer bestimmten Organisation missbraucht werden“. Ausserdem pocht Pretoria darauf, daß nicht all die 8.000 „Fahnenflüchtige“ sind. Denn es ist erlaubt, den Wehrdienst bis nach Beendigung des Studiums zu verschieben. Viele der Studenten kommen allerdings auch dann nicht zum Militär. Sie verlassen stattdessen das Land - Berufsberater an Universitäten bestätigen, daß der Studiengang immer öfter nach den Erfolgschancen im Ausland gewählt wird. Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres kehrten 7.189 Leute dem Apartheid–Staat den Rücken. Südafrikas System der Wehrpflicht war schon immer umstritten. Jeder hier lebende weiße Mann muss einen zweijährigen Wehrdienst absolvieren - das gilt selbst für im Lande lebende Ausländer. In den darauffolgenden zwölf Jahren werden Reservisten jährlich einmal zu einmonatigen Übungen eingezogen. Eine Wehrdienstverweigerung ist nur in religiösen Ausnahmefällen möglich. Wer aus rein pazifistischen Gründen verweigern will, muss mit ei ner sechsjährigen Gefängnisstrafe rechnen. Wiederstand gegen Aufstandsbekämpfung Dennoch ist der Widerstand gegen die Wehrpflicht gewachsen, vor allem, seitdem vor zwei Jahren das Militär zum ersten Mal zur Kontrolle von Aufständen in den Townships eingesetzt wurde. Damit ist selbst für eher unpolitische Weiße klar geworden, dass das Militär nicht etwa das Land Südafrika verteidigt, sondern schlicht die Politik der Apartheid. Selbst unter konservativen Buren, für die ein stolzer Patriotismus eine traditionelle Selbstverständlichkeit ist, kommen Zweifel auf. So schafft es die ECC auch immer mehr, die angestrebte Politisierung der weißen Bevölkerung zu erreichen. Immerhin steht ohne Ausnahme jede weiße Familie vor dem Problem der Wehrpflicht. Ausserdem hat die Konzentration der ECC auf kulturelle Veranstaltungen dazu geführt, dass auch unpolitische Jugendliche über die Wehrpflicht und die Apartheid nachzudenken beginnen. Es gibt allerdings auch rein wirtschaftliche Kritik am System der Wehrpflicht. Selbst die Geschäftswelt beschwert sich über die Kosten. So muss eine Firma das Gehalt eines Angestellten weiter zahlen, während er an einer der periodischen Reservisten–Übungen teilnimmt. Das bedeutet erhebliche Produktivitätsverluste in einer Wirtschaft, die ohnehin schon in der Krise ist. Geschwächt werden die Betriebe auch durch den Verlust hochqualifizierter Auswanderer. Doch Pretoria bleibt unnachgiebig. Die Bestimmungen für religiöse Verweigerer wurde vor kurzem weiter verschärft. Ausserdem wurde angekündigt, daß sich in Zukunft auch 50–jährige an Wochenendübungen beteiligen müssen. Hans Brand