Israel vor einem neuen Kriegsverbrecher–Prozeß

■ Wahrscheinlich letzter Völkermord–Prozeß gegen KZ–Wächter Demjanuk beginnt im Januar / Neue Debatte um Prozeßführung gegen Holocaust–Täter in Israel

Aus Tel Aviv Amos Wollin

Der Beginn des Jerusalemer Strafprozesses gegen John Demjanjuk, der angebliche „Iwan der Schreckliche“, Schlächter von Treblinka, ist auf den 19. Januar 1987 festgelegt worden. Doch schon jetzt türmen sich die Probleme um diesen wahrscheinlich letzten Völkermord–Prozeß in Israel. Der Verteidigungs–Beisitzer, der amerikanische Anwalt Mark OConnor, beantragte inzwischen bei den drei Richtern des Verfahrens, den Prozeß–Beginn um drei Monate zu verschieben, weil er glaubt, nicht alles Beweismaterial der Anklage zur Prüfung erhalten zu haben. Der Antrag wurde abgelehnt und OConnor erwägt nun, in dieser Sache den Hohen Gerichtshof in Jerusalem anzurufen. Der israelische Anwalt Demjanjuks wird Dr. Gershon Orion sein, der ein langwieriges Verfahren innerhalb des Verfahrens, im Hinblick auf die Fest stellung der Identität des Angeklagten erwartet. Denn es ist immer noch zweifelhaft, ob schlüssig nachgewiesen werden kann, daß der Anfang dieses Jahres von den USA nach Israel ausgelieferte ukrainische Emigrant tatsächlich der gesuchte Mörder aus dem Todeslager Treblinka ist. Demjanjuk selbst behauptet, Opfer einer Verwechslung zu sein. Ein ehemaliger Richter des Obersten Gerichts, der aus Deutschland stammende Haim Cohen - Leiter des israelischen Bürgerrechts–Verbandes - erklärte jetzt, er sei bereit, die Verteidigung Demjanjuks zu übernehmen, „allein um zu verhindern, daß der Mann aufgrund der seinen Fall umgebenden emotionalen Atmosphäre verurteilt wird“. Wenn er jetzt Israels Hauptankläger wäre, fügte Cohen hinzu, könnte er nicht die Verantwortung übernehmen, die Anklage vorzubringen. Kriegsverbrecher sollten vor Gericht gebracht werden, aber man könne nicht übersehen, daß es nahezu unmöglich sei, verläßliches Beweismaterial zu präsentieren. Der Demjanjuk–Prozeß hat in Israel eine Diskussion über das emotional stark besetzte Holocaust–Thema ausgelöst. Können es sich israelische Richter in dieser Situation leisten, die Anklage gegen Demjanjuk fallen zu lassen, weil man seine Identität nicht nachweisen kann, fragt bspw. der Schriftsteller Boaz Evron. Das Holocaust–Argument sei inzwischen so oft mißbraucht worden, daß es kaum noch glaubwürdig vorgebracht werden könne. „Wir haben den Holocaust benutzt, um Reparationen zu bekommen, um die ganze Welt verantwortlich zu machen, um Kritik an Israel mundtot zu machen, wenn wir uns selbst schlecht verhalten haben, wie etwa im Libanon–Krieg. Die Holocaust–Argumente klingen hohl in einer Zeit, wo wir alles andere als underdogs sind.“