„Eine fortdauernde Verhöhnung der Opfer“

■ Die von den Nazis verfolgten Sinti und Roma wurden bis heute nicht rehabilitiert

In eiem zweiten Anlauf versuchten gestern die Sinti und Roma in Bonn eine größere Öffentlichkeit darauf hinzuweisen, daß die Verfolgung der „Zigeuner“ das Ende des Faschismus bis in die heutige Zeit überlebt hat. Vor allem die bislang erfolglosen Versuche, eine Wiedergutmachung für im NS–Staat verfolgte Sinti und Roma durchzusetzen, zeigten, welch Geistes Kind den Apparat der Nachkriegszeit prägt. Da werden die Opfer von ihren früheren Verfolgern beurteilt, bleibt die Diskriminierung offizielle Srachregelung. Als letzten Hoffnung bleiben den Verfolgten nun Bundeskanzler und Bundespräsident, die durch ihren persönlichen Einsatz eine unmenschliche Bürokratie korrigieren könnten.

Bonn (taz) - Zugehört haben vor allem die Betroffenen selbst, als Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, seine Empörung über den Regierungsbericht zur Wiedergutmachung vortrug. Der Saal der Bundespressekonferenz, der fast aus allen Nähten platzte, als SPD– Kanzlerkandidat Rau nach dem Hamburger Wahldebakel in Bonn erschien, blieb gestern ziemlich leer. Das Thema: Der Bericht der Bundesregierung zur Wiedergutmachung, den Romani Rose „eine Ungeheuerlichkeit“ nannte und über den SPD–Abgeordnete Renate Schmidt bekannte, „daß ich mich dafür schäme“. „Sinti, Roma und verwandte Gruppen (Zigeuner) wurden seit dem Beginn der Wiedergutmachung von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtssprechung als rassistisch Verfolgte anerkannt“, so der Wiedergutmachungs–Bericht, für den Familienministerin Süssmuth verantwortlich zeichnet. Sinti und Roma, von denen die Nazis mehr als 500.000 Menschen umgebracht haben, seien wie alle anderen Verfolgten behandelt worden, hätten keine Benachteiligungen erlitten und somit ausreichend entschädigt worden. Romani Rose sprach von „Geschichtsblindheit“ und gewollter Tatsachenverdrehung: Milliardensummen würden aufgezählt, die jedoch als globale Entschädigungen an andere Staaten, und nicht an die einzelnen im NS–Staat Verfolgten gezahlt worden seien. Das Aufzählen solcher Summen sei nur dazu angetan, „die systematische Benachteiligung von Angehörigen unserer Volksgruppe bei der Entschädigungspraxis zu kaschieren“, wie es in einem Brief an Bundeskanzler Kohl formuliert ist. Eine Mappe mit 435 Einzelschicksalen soll das belegen. Romani Rose hat sie gestern vor den Augen einiger seiner Leidensgenossen und -genossinnen an die SPD–Abgeordnete Renate Schmidt für den Fraktionsvorsitzenden Vogel übergeben. Allen diesen Betroffenen „werden trotz schwerer Gesundheitsschäden durch meistens mehrjährige Konzentrationslagerhaft in Auschwitz, Buchenwald, Ravensbrück, Dachau, Mauthausen, Bergen– Belsen usw. heute Entschädigungsrenten verweigert“, sagte Romani Rose. Als Ursache nannte er u.a. die Ausschlußpraxis der Landesentschädigungsämter sowie die Zusammenarbeit dieser Behörden „mit den früheren Organisatoren des Völkermords“, die später in Landeskriminalämtern gesessen hätten. Diese Ausschlußpraxis werde von Finanzminister Stoltenberg bei der Durchführung der „Härteregelung von 1981 für nichtjüdische NS–Verfolgte“ fortgesetzt, schrieb der Zentralrat an Bundeskanzler Kohl. Im Rahmen dieser Härteregelung würden die Völkermordverbrechen an Sinti und Roma zur „kriegsbedingten Asozialenbekämpfung“ erklärt. Damit werden den Betroffenen Renten oder einmalige Zahlungen aus diesem Fond verweigert - eine Praxis, mit der Sinti und Roma sich im übrigen auch von Finanzministern der SPD–/ FDP–Regierungszeit konfrontiert sahen. Genau vor einem Jahr waren die Sinti und Roma schon einmal in Bonn, um die Bundesregierung mit ihrem Anliegen auf die Füsse zu treten. Vergeblich. Gestern wandte sich Romani Rose vor allem an den SPD–Vorsitzenden Vogel, der sich angeboten hat, mit der Liste der 435 Opfern sofort zum Bundespräsidenten, Bundeskanzler und Bundesfinanzminister zu gehen, um menschenwürdige Entschädigungsansprüche durchzusetzen. Der Zentralrat fordert für alle Verfolgten eine monatliche Rente von 1000 DM - unabhängig von der Schwere des jeweiligen Verfolgungsschicksals. Große Hoffnung setzt Romani Rose dabei auf Bundeskanzler Kohl, dem er gestern mit seiner kleinen Delegation einen Brief überreichte. Er gehe davon aus, sagte Rose, „daß der Bundeskanzler unserem Anliegen offener gegenübersteht als der Bundesfinanzminister“. Vielleicht werden jetzt einige dieser 435 NS–Opfer doch noch Entschädigungen enthalten. Mit viel Glück sogar alle. Doch selbst dann ist das eigentliche Problem nicht gelöst, sind die Zwangssterilisierten, Homosexuellen oder Kommunisten immer noch leer ausgegangen. Ursel Sieber