Volksverarschung

■ Der Kronzeuge als Buhmann für die öffentliche Meinung

Knapp vier Wochen dominierte er die innenpolitische Diskussion, dann verschwindet er so plötzlich wieder in der Versenkung, wie er zuvor daraus aufgetaucht war: der Kronzeuge. Nach drei Stunden Debatte war es vollbracht, hatte die FDP den liberalen Rechtsstaat gerettet und der Union den giftigsten Zahn aus dem geplanten staatlichen Drohpotential gezogen. Bravo, bravo, dieser FPD gebührt der Dank der kritischen Öffentlichkeit. Der kritische innerparteiliche Diskurs hat über die Opportunisten gesiegt. So weit, so schön. Allein ein Umstand macht stutzig. Kaum hatte das FDP–Präsidium signalisiert, es wolle eine leichte Veränderung der bislang geplanten Regelung, ging die CDU/CSU schon in die Knie. Als habe die Spitze der Union nur auf das Stichwort gewartet, hieß es plötzlich: Na gut, dann machen wir es eben ohne den Kronzeugen. Daß die gemäßigte Reaktion aus München dem plötzlichen Bedürfnis nach Schonung des Koalitionspartners FDP entspringt, ist wenig wahrscheinlich. Vielmehr drängt sich im Rückblick der Verdacht auf, daß der Kronzeuge von Anfang an nicht mehr als ein Phantom war; geplante Dispositionsmasse im Stile der Raketenverhandlungen, wo ja auch Projekte nur deshalb geplant werden, damit man sich etwas abverhandeln lassen kann. Die Strategie ist voll aufgegangen. Wie erwartet haben sich die Verteidiger des Rechtsstaates auf den Kronzeugen gestürzt, wie beabsichtigt wird das eigentliche Kernstück der Gesetze - der erweiterte 129a - problemlos die parlamentarischen Hürden nehmen. Die Kohl–Regierung ist eben doch nicht so dumm, wie die Linke gemeinhin annimmt. Jürgen Gottschlich