Streiklustige Studenten erobern Sorbonne

■ Am Wochenende haben sich Delegierte aller französischen Universitäten in der Pariser Sorbonne versammelt und für heute zum Generalstreik aufgerufen / Sie protestieren gegen die geplante Universitätsreform der Rechts–Regierung

Aus Paris Georg Blume

Der Innenhof der Pariser Sorbonne Universität ist ein alter Treffpunkt. Wochenlang tagten hier die studentischen Streikkomitees im Mai 68. Wären die versackten Maikämpfer an diesem Wochenende an den Traditionsort zurückgekehrt, sie hätten wohl ihren Augen nicht getraut. An diesem Sonnabend erobern erneut streiklustige Studenten den Innenhof der Sorbonne. „Wir warten nicht auf den Mai, um Pflastersteine zu schmeißen“, verkündet eine Banderole. Der Studentenverband „UNEF“ hat zur Vollversammlung der Delegierten aller 76 französischen Universitäten geladen, um ab Montag den Generalstreik der Studenten für das ganze Land auszurufen. Der Anlaß: Die Universitätsreform der neuen Rechts–Regierung, die der zuständige Minister Devaquet am Donnerstag im Parlament vorlegen wird. Mit einer völlig unerwarteten Schnelligkeit hatte sich die Bewegung in der letzten Woche ausgebreitet. Innerhalb weniger Tage traten zwölf Unis in den Streik. „Die Bewegung hat Tiefgang, die Leute wollen durchhalten“, sagt UNEF–Sprecher Joel Carreiras. Er selbst war von der Streikdynamik überrascht. „Aber wir machen keinen Streik, nur um des Streikes willen. Es geht um ein reaktionäres Gesetz, das die Errungenschaften von 68 in Frage stellt“, so Carreiras. Die Universitäten, bis Mitte der 60er Jahre im französischen Bildungswesen fast völlig bedeutungslos, waren mit dem sogenannten „Orientierungsgesetz“ vom November 68 insbesondere im human– und sozialwissenschaftlichen Bereich stark aufgewertet worden. Interdisziplinäre Studiengänge wurden gefördert und standen hoch im Kurs. Reformversuche der Giscard–Ära strebten bereits eine stärkere Spezialisierung und Kontrolle der Studiengänge an. Von 1970 datiert der letzte studentische Generalstreik, als man mit einer Erneuerung des zweiten Studienabschnittes stark berufsbezogene Abschlüsse einführte. Doch der Wahlsieg von 1981 kam den Reformern zuvor. Heute setzt Minister Devaquet erneut bei den Bemühungen seiner Vorgänger an, und nennt sein Gesetz „eine Befreiung der Universität“. Die französichen Unis sollen in Zukunft die „Freiheit“ besitzen, ihre Einschreibgebühr selbst festzulegen, eine Auswahl der Studenten nach dem ersten Semester in eigener Regie vorzunehmen und schließlich über die Anerkennung von Abschlüssen anderer Hochschulen eigenständig zu bestim men. Mit verstärkter Selektion und Professionalität will er erreichen, daß der Graben zwischen den unabhängigen „Grandes ecoles“, aus denen Frankreichs intellektuelle Elite fast ausschließlich kommt, und den Unis nicht völlig unüberbrückbar wird. Für die Studenten, die an der Sorbonne kampfbereit den Generalstreik proklamieren, ist dieses Gesetz ein Anschlag auf einen Grundwert. Die Gleichheit. „Es geht um unsere Moral. Die Reform will die Apartheid unter uns“, sagt Farid Thenardier, Student aus der Normandie. „Unser Engagement ist praktisch und nicht ideologisch. Unsere Generation hat die Rechte an der Macht nicht mehr gekannt“, erklärt Joel Carreiras und zieht eine Parallele zu der französischen Antirassismus–Bewegung, um „SOS–Racisme“. „Wir wollen die Bewegung nicht politisieren, damit ein Maximum der Leute mitmacht.“ Die neue Strategie der UNEF, einst vergleichbar mit dem bundesdeutschen SDS, scheint realistisch. „Mit dem Kino, der Werbung und dem Wort identifizieren sich die Studenten von 1986 und nicht mit der Literatur oder der Ideologie“, konstatierte am Sonntag die Le Monde nach einer umfangreichen Untersuchung des Studentenmilieus. Für Vincent Schaft, Delegierte aus Marseille, ist das wenig abschreckend. „99,9 Prozent der Leute hier haben die Bewegung vor 1980 nicht gekannt. Und wir haben keine Lust, die Geschichte zu wiederholen.“ Für den Donnerstag ruft die Vollversammlung der Sorbonne zu Demonstrationen in ganz Frankreich auf. Schon am Sonntag demonstrierten 300.000 in Paris gegen die neue Bildungspolitik. Die Regierung muß sich vorsehen, daß ihr nicht dasselbe passiert wie damals den Sozialisten. 1984 kenterten Millionen Demonstranten die sozialistische Schulreform. Und Vincent Schaft erkennt schließlich: „Für unsere Courage ist der Vergleich mit dem Mai 68 gar nicht so schlecht.“