Alternative Handelskammer?

■ Netzwerk–Bundesarbeitsgruppe debattiert professionalisierte Bonner Lobby für alternative und selbstverwaltete Betriebe / Überlegungen zum Verteilungskampf um die Staatsknete / Reaktion der Selbstverwalter blieb reserviert

Von Klaus Wollschner

Bremen (taz) - Was ist denn hier der heimliche Lehrplan? 60 bis 70 Teilnehmer eines Seminars „Netze und Verbünde selbstverwalteter Betriebe“ in Bremen hatten das Gefühl, daß da was im Gange ist. Heinz Bollweg, der Geschäftsführer der von den Arbeitnehmern übernommenen Voith–Filiale, heute AN Maschinenbau und Umwelttechnik, hatte seine ganz persönlichen Gedanken über die Notwendigkeit einer politischen Lobby vorgetragen. Eingeladen zu diesem Seminar hatte die AG SPAK, Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Arbeitskreise, ein bunsdesweiter Zusammenschluß von Selbsthilfeinitiativen mit Schwerpunkten im Jugendbereich, der Psychiatrie undder alternativen Ökonomie. Einige der Seminar–Teilnehmer waren überrascht, ganz nebenbei zu erfahren, daß seit Wochen schon die Mitglieder der Bundesarbeitsgemeinschaft Netzwerke beraten, wie so eine Lobby aufgebaut werden könnte. Warum eine eine Selbstorganisation der Selbstverwalteten zur Lobby? Antworten gab es eine ganze Reihe. Die Aufbaujahre sind vorbei, 4.000 selbstverwaltete Betriebe bundesweit suchten konstruktive Power und kreativen Drive, schreibt etwa der Berliner Netzwerker Michael Markowski unter der dramatisch klingenden Überschrift „Ende oder Wende - Die Selbstverwalter am Scheideweg“. Er stachelte zu mehr Mut zum Pragmatismus statt Hochhalten der reinen Lehre an. Andere wollten die Lobby als Reflex auf die politische Abstinenz der Selbstverwaltungs– und Selbsthilfezusammenhänge v.a. auf Bundesebene. Diese Erklärungen, die vor allem mit der Macht des faktisch schon Gegebenen daherkommen, überzeugte das schlecht informierte einfache Volk in der Bremer Diskussion schnell. Außerdem wurde argumentiert, es gäbe doch schon Reisekader genug, die in Sachen Alternativbetriebe unterwegs seien. Die Gründung einer Lobby würde diese Personen nur kontrollierbar machen, Legitimation schaffen. Heinz Bollweg hatte mit seinem Plädoyer für die politische Lobby auch die Rückwirkung bedacht. Provokation der Auseinanderse sein sollen. Woher da den Mut zur Provokation nehmen. Heinz Bollwegs Präzisierungen gingen den meisten dann auch zu weit: Ein professionell organisiertes Büro in Bonn. Ebenfalls zu weit ging der am Rande geäußerte Gedanke, die Lobby eventuell zusammenzulegen mit den bundesweiten Zusammenschlüssen der Branchen–Verbände selbstverwalteter Betriebe, den Fahrradläden, Verbraucher– Koops, Gartenbauern, Umweltschutz–Papier–Produzenten. Die Lobby würde auf diese Weise aufgeblasen zur Handelskammer der Alternativen, wie Michael Markowski meinte, weniger kontrolliert von einem Delegiertenrat, Plenum und Zweidrittel– Konsens–Mehrheit, als vielmehr von den Interessen der selbstverwalteten Betriebe, für die als letzte Instanz der Markt ausschlaggebend ist. Immerhin wurde das Wort „Spitzenverbände der selbstverwalteten Wirtschaft“ gelassen in den Versammlungsraum gestellt. Die Debatten um die Organisierung der Lobby werden vorsichtig weitergehen. Viel Mißtrauen muß durchgearbeitet werden. Das Seminar habe vielleicht die Diskussionen der informellen Lobby– Kader mit dem Zeitgeist der Szene konfrontiert, sie aber nicht konstruktiv weitergebracht, kritisierte Heinz Bollweg bei der Seminarkritik–Runde am Ende des zweitägigen Treffens.