Wenn der Konflikt ein Szenario wäre....

■ ....dann wäre das Drehbuch zum Krieg im Tschad nur ein mäßiges / taz–Korrespondent Knut Pedersen beleuchtet die Parts der Protagonisten

Lome (taz) - Ein Schelm, wer heute behauptet, die tschadische Aktualität noch mit Verstand zu überblicken. Denn die Situation ist verwirrender denn je: Die mit Libyen verbündete ehemalige „nationale Übergangsregierung“ (GUNT) ist nun endgültig auseinandergebrochen, und während sich einige libyentreue „Tendenzen“ im westafrikanischen Cotonou erneut zur Oppositionsfront gegen die Regierung Hissein Habres zusammengeschlossen haben, bombardiert die libysche Luftwaffe im Norden des Tschad die Gefolgsleute des bisherigen GUNT–Präsidenten Gukuni Oueddei, jahrelang Libyens treuester Verbündeter im Kampf um die Macht in NDjamena. Auf der anderen Seite verweigert Frankreich Hissein Habre die geforderten militärischen Mittel zur Rückeroberung des besetzten Nordens, obgleich die Chancen nie günstiger standen für dessen patriotische Apotheose Leserservice: Det heißt „Vergötterung, Verklärung“! d.s/in in Zusammenarbeit mitm Duden im Kampf gegen den „libyschen Aggressor“. Aber wessen Apotheose wann und in wessen Interesse stattfindet, darum dreht sich der tschadische Konflikt ja bekanntlich seit nunmehr 20 Jahren. Trügerische Allianzen mit fremden Mächten Ein Schelm also, wer behauptet, die tschadische Frage wirklich noch mit Verstand zu überblicken. Und vielleicht ist es tatsächlich an der Zeit, der Gewissenhaftigkeit, die sich in der Aufzählung diverser „Tendenzen“ und intervenierender Mächte erschöpft, die plumpe Inszenierung vorzuziehen. Gesetzt, der tschadische Konflikt entspränge einem Hollywood–Skript, so müßten nun grandiose Szenen des „großen vaterländischen Krieges“ über die Leinwand flimmern: Die seit einem Jahrzehnt verfeindeten Brüder, Hissein Habre und Gukuni Oueddei, wenden sich ab von trügerischen Allianzen mit fremden Mächten - Frankreich und Libyen - und besinnen sich auf ihren gemeinsamen Patriotismus. Als Protagonisten des „neuen“ Tschad ziehen sie Seite an Seite ins Feld, trotzen dem Verrat Frankreichs und den mörderischen Waffen Libyens und tränken den Heimatboden mit dem Blut fortan unverbrüchlicher nationaler Einheit - Geigencrescendo und Schluß. Es bleibt ein mäßiger Einwand festzustellen, daß der Fortgang der tschadischen Geschichte wohl kaum dem - ebenfalls mäßigen - Drehbuch entsprechen wird. Das hieße triefenden Sinn mit Ironie verwechseln, die im Zweifel ja darin besteht, dem gravitätisch Ernsten auf den bitteren Kern zu beißen. Und so wie nunmehr die Rollen im Tschad verteilt sind, ist die Apotheose des „großen vaterländischen Krieges“ durchaus denkbar geworden. Am 17. Oktober erklärte sich Gukuni Oueddei in einem Telefoninterview mit dem französischen Auslandssender „Radio France Internationale“ zum politischen Gefangenen Libyens. Wenige Tage später war seine Residenz in Tripoli denn auch tatsächlich von Sicherheitskräften umstellt, und anläßlich einer Vorladung beim libyschen Staatschef Ghaddafi, die sich leicht als Verhaftung mißverstehen ließ, kam es zur Schießerei, bei der Gukuni Oueddei an der Hüfte verletzt wurde. Er befindet sich - außer Lebensgefahr - seither im Krankenhaus, wo ihn einige seiner en geren Verwandten inzwischen besuchen konnten. Unterdessen wurden in Tripoli und im südlichen Sheba mindestens 60 Gefolgsleute Gukuni Oueddeis verhaftet, und im tschadischen Norden bombardiert die libysche Luftwaffe ihre tschadischen Waffenbrüder von gestern. Die „Forces armees populaires“ (FAP) Gukuni Oueddeis haben sich inzwischen weitgehend ins Tibesti–Gebirge zurückgezogen, ihr Stammland, von wo aus sie den libyschen Einheiten einen erbitterten Guerillakrieg liefern. Handel um Einheit gegen Libyen Angesichts dieser Situation wird der 16. Breitengrad, d.h. die fiktive Demarkationslinie im tschadischen Norden, vollends zur Farce. Insofern sich die Truppen Gukuni Oueddeis nunmehr ebenfalls gegen die „libyschen Invasoren“ schlagen, gibt es für die Armee Hissein Habres absolut keinen Grund mehr, die faktische Teilung ihres Landes noch länger hinzunehmen. Mit anderen Worten: Es ist nur eine Frage der Zeit und der Umstände, bis die vormals verfeindeten tschadischen Armeen gemeinsame Sache machen werden, um die libyschen Besatzungstruppen aus dem Land zu treiben - mit oder ohne französische Unterstützung. Einmal Marionette - einmal Patriot Tatsächlich haben die ersten Kontakte bereits Anfang November zu einem mündlichen Waffenstillstandsabkommen zwischen den FAP Gukuni Oueddeis und der Regierungsarmee Hissein Habres geführt. Und am Rande der französisch–afrikanischen Gipfelkonferenz Mitte November in Lome hat der tschadische Präsident mit dem Kabinettsdirektor Gukuni Oueddeis, Ahmet Kailan, den Rahmen eines politischen Abkommens ausgehandelt, das künftig die Aktionseinheit gegen Libyen garantieren soll. Abzüglich des Geigencrescendos entspricht das durchaus der filmischen Apotheose a la Hollywood. Schauspielerisch beeindruckend war auch die von Hissein Habre in Lome veranstaltete Pressekonferenz, wenn man sich daran erinnert, daß der tschadische Präsident seinen langjährigen Todfeind bislang vorzugsweise als „Marionette Ghaddafis“ denunzierte. Inzwischen ist Gukuni Oueddei „trotz allem ein tschadischer Patriot“, und Hissein Habre bat die Medienwelt mit bewegenden Worten um „solidarische Aufmerksamkeit für das ungewisse Schicksal“ seines einstigen Rivalen. Das mochte manchem erinnerungsfähigen Beobachter der tschadischen Zeitgeschichte scheinheilig vorkommen, aber Scheinheiligkeit ist vermutlich keine Kategorie politischer Analyse. Habres Appell beweist jedenfalls, daß in seinen Augen der Bruch zwischen Gukuni Oueddei und Ghaddafis Libyen unwiderruflich ist, und dafür spricht in der Tat einiges, seit der libysche Verbündete im vergangenen Februar die letzte große militärische Offensive der GUNT–Truppen im tschadischen Norden einfach versanden ließ - mangels Nachschub und Treibstoff. Seither war Gukuni Oueddei willens, die „historische Allianz mit Libyen“, die nie etwas anderes war als eine taktische Notlösung, zumindest zu „revidieren“. Und wenige Wochen vor seinem fatalen Interview mit dem französischen Rundfunk hatte Gukuni Oueddei den malischen Staatspräsidenten Moussa Trore um seine Vermittlung gebeten, um mit dem schwierigen libyschen Verbündeten endlich ins reine zu kommen: Ghaddafi sollte der GUNT entweder die Mittel zum Krieg oder den politischen Freiraum zum Frieden geben, statt sich der tschadischen Opposition zum Zwecke hegemonialer Interessen zu bedienen. Das war offensichtlich mehr, als man vom Führer der libyschen Revolution rechtens erwarten darf. Nach dem Bruch mit dem früheren tschadischen Präsidenten Gukuni Oueddei wird Libyen nun versuchen müssen, mit der politischen Konkursmasse der GUNT zu manövrieren. Und das hat bereits begonnen, im westafrikanischen Cotonou, der Hauptstadt des marxistisch–leninistischen Benin, versammelten sich Mitte November mehrere „Tendenzen“ der RPT, der früheren „nationalen Übergangsregierung“ (GUNT), um sich erneut als Oppositionsfront gegen Hissein Habre zu konstituieren. Zum neuen Präsidenten wurde nunmehr der Führer des CDR (Comitee Democratique Revolutionaire), Acheikh Ibn Oumar, gewählt, ein in Frankreich und Libyen ausgebildeter Mathematiker, der 1983 bereits als „dritter Mann“, d.h. als Kompromißkandidat Frankreichs und Libyens im Gespräch war. Die Rivalität zwischen Ibn Oumar und Gukuni Oueddei hatte sich Ende 1983 in einem gescheiterten Putschversuch des CDR– Führers entladen, der daraufhin für anderthalb Jahre im tschadischen Norden in Haft gehalten wurde. Erst zur Versöhnungskonferenz der GUNT, im August 1985 in Cotonou, gab Gukuni Oueddei libyschem Druck nach und die Freilassung Ibn Oumars bekannt, der sich nun seinerseits dem GUNT–Präsidenten unterzuordnen gelobte. Was freilich nicht lange währte und nur einmal mehr illustriert, wie leicht zahlungskräftige Interessenten - in diesem Fall Libyen - im Supermarkt der tschadischen „Tendenzen“ das passende Produkt erwerben. Von außen betrachtet, rangiert im Tschad Selbstbedienung noch immer vor Selbstbestimmung, und das gilt nicht nur nördlich des 16. Breitengrades. Frankreich hält das Land über Wasser Auf den ersten Blick ist die Allianz zwischen Hissein Habre und der französischen Schutzmacht ungleich solider, nicht zuletzt aus Legitimationsgründen. Habre ist schließlich der von der „Organisation für afrikanische Einheit“ (OAU) und den Vereinten Nationen anerkannte Präsident der tschadischen Republik. Und nach der Befriedung des lange Zeit aufmüpfigen Südens, des sogenannten „nützlichen Tschad“, ist Hissein Habre auch innenpolitisch standfester geworden. Was freilich nichts daran ändert, daß sein Land bettelarm ist, nach der Dürrekatastrophe der letzten Jahre nunmehr von Heuschrecken heimgesucht wird und zudem als einziges Exportprodukt Baumwolle anzubieten hat, deren Weltmarktpreis mittlerweie ein Drittel unter den tschadischen Herstellungkosten liegt. Mit anderen Worten: Frankreich hält das Land am ausgestreckten Arm über Wasser, subventioniert und interveniert, militärisch, wirtschaftlich und damit zwangsläufig auch politisch. Es hieße freilich die falsche Einschätzung des tschadischen Präsidenten gegenüber Gukuni Oueddei wiederholen, wollte man Hissein Habre als „Marionette Frankreichs“ karikieren. Zumal Habres Francophilie sicher nicht viel weiter geht als zuzeiten die Affinitäten Gukuni Oueddei für den libyschen Verbündeten: Im Tschad küßt man die Hand, die man nicht abhacken kann. Angesichts des - laut Habre - „von Libyen verübten Genozids im tsachadischen Norden“ hat die Regierung in Ndjamena Frankreich mehrmals um offensiven militärischen Beistand ersucht. Vergeblich, wie sich zuletzt anläßlich des französisch–afrikanischen Gipfels in Lome erwies: Sowohl Frankreichs Neo–gaullistischer Premierminister Jacques Chirac als auch der sozialistische Präsident Francois Mitterrand schlossen den Einsatz französischer Truppen nordlich des 16. Breitengrades kategorisch aus. Die französische Luftwaffe würde nicht einmal eingreifen, sollte die Armee Hissein Habres - ohne vorherige Abstimmung mit Frankreich - „unvorsichtige Aktionen“ im Norden unternehmen, warnte Francois Mitterrand, der offensichtlich fürchten muß, von seinem „Verbündeten“ überrumpelt zu werden. Aber der „große vaterländische Krieg“, von dem Hissein Habre dieser Tage vielleicht träumen mag, ist nicht unbedingt in Frankeichs Interesse. Nicht nur aus diplomatischer und militärischer Rücksichtnahme gegenüber dem Nachbarland Libyen, ohne dessen Zustimmung oder zumindest Duldung ein dauerhafter Frieden im Tschad schlechterdings undenkbar bleibt, sondern auch weil Frankreich Hissein Habre auf einen Kompromiß mit den anderen politischen Kräften des Landes verpflichten will, damit die Partie im Tschad - „Divide et Impera“ - weiterhin offenbleibt. Es mag gefährlich oder zumindest paradox erscheinen, aber angesichts der cäsaristischen Neigungen Hissein Habres geht in solch hegemonialem Kalkül auch auf, was im Tschad an demokratischer Hoffnung bleibt. Gegenüber der kriegerischen Apotheose im Norden hat das kleinliche Tauziehen in Konferenzsälen zumindest einen Vorteil: Es bleibt eine Option auf Zukunft, worauf sich der Tschad im übrigen noch immer resümiert nach 20 Jahren Bürgerkrieg.