Mit 50 Mrd. DM gegen Arbeitslosigkeit von fünf Millionen

■ Nach Gutachten des Sachverständigenrates: „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ legt Sondermemorandum vor / Aufschwung vorbei

Von Ulli Kulke

Die Wirtschaft Professoren Rudolf Hickel,Jörg Huffschmid,Herbert Schui und Klaus Hofemann. Der Vorwurf der Schönfärberei geht unausgesprochen an die Adresse des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR), der am Montag sein Jahresgutachten der Bundesregierung übergeben hatte (taz von gestern). Darin wirdfrohgemut die „Wirtschaft der Bundesrepublik weiter auf Wachstumskurs“ gesehen. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik begreift sich seit Mitte der siebziger Jahre als Gegengewicht zum SVR, ihre regelmäßig zum 1. Mai herausgebrachten Konjunkturanalysen und -empfehlungen (“Memorandum“) werden als „Gegengutachten“ gehandelt. Und wenn der Sachverständigenrat einmal besonders unkritisch den Wirtschaftskurs der Bundesregierung unterstützt, dann wird ein „Sondermemorandum“ verfasst - so auch in diesem Jahr. Zunächst einmal versuchen die Alternativgutachter darin, der Bundesregierung die Argumentationsbutter vom Wahlkampfbrot zu nehmen: Der Konjunkturaufschwung der letzten vier Jahre sei nicht das Ergebnis bundesdeutscher Wirtschaftspolitik. Er sei im wesentlichen von außenwirtschaftlichen Impulsen getragen und habe zudem nichts gegen Arbeitslosigkeit und Armut bewirkt. Obwohl laut Memorandum zwischen 1982 und 1986 die Industrieproduktion um 5 Sozialprodukt um 10 sei, liege die Zahl der Beschäftigten 1986 im Jahresdurchschnitt kaum höher als im Krisenjahr 1982, die Zahl der registrierten Arbeitslosen habe dagegen sogar um über ein Fünftel von 1,8 Mio. auf 2,23 Mio zugenommen. Für die Jahre 1985 (185.000) und 1986 (280.000) konstatiert das Sondermemorandum jeweils zwar eine Zunahme der Erwerbstätigen, dies sei indes auf die „zeitweilige Unterbringung von Arbeitslosen zwischen zwei Perioden der Arbeitslosigkeit“ zurückzuführen - „wahltaktische Gesichtspunkte“ werden unterstellt. Ende 1986 würden so z.B. etwa 100.000 Teil nehmer von beruflichen Förderungs– und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aus der Arbeitslosenstatistik in diejenige der Erwerbstätigen überführt. Im kommenden Jahr gelte dies zusätzlich für ca. 100.000 Menschen, die ihr Recht auf Erziehungsurlaub wahrnähmen. Im Übrigen sei für die neuen Arbeitsplätze vor allem die Arbeitszeitverkürzung ursächlich verantwortlich, wobei das Memorandum keine genauen Zahlen nennen kann. Aus dem Vergleich zwischen der Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes von 1980 bis 1986 (+5,3 im selben Zeitraum (ebenfalls 5,3 es keine wachstumsbedingte Erhöhung der Beschäftigtenzahlen in diesem Zeitraum gegeben hat .Der Aufschwung ist nach Ansicht 81 T_861126_065.O der Professoren vor allem außenwirtschaftlich gestützt: Der konjunkturelle Boom in den USA bei gleichzeitig hohem Dollarkurs habe 1984/85 die Exporte um 15,9 um 5,8 werde die Konjunktur 1986 vor allem durch den privaten Verbrauch im Inland getragen, der real um 4,5 ansteige - auch aufgrund der „kräftigen Steigerungen“ des Nettorealeinkommens. Aber auch die realen Einkommenssteigerungen seien kein Verdienst der Bundesregierung. Der drastische Ölpreisverfall (für Mineralölprodukte haben sie ein Preisniveau von 60 Vorjahresstand errechnet) sowie die Aufwertung der DM (die die Importe verbilligt) seien hier maßgeblich. Ohne diese glücklichen Umstände würde die diesjährige Inflationsrate bei 2 - 2,5 also auch auf tönernen Füßen. Dies auch aufgrund der Steuerreform der Bundesregierung, deren Entlastungswirkungen überproportional den Besserverdienenden zugute kämen - deren Sparquote aber besonders hoch ist, die also mithin vergleichsweise weniger zum Verbrauch beitrügen. Insgesamt wird im Memorandum eine Umverteilung von unten nach oben konstatiert, die besonders deutlich nach Berücksichtigung der Steuern und anderer Abgaben wird: Die Nettolohn– und Gehaltssumme sei zwischen 1983 und 1986 lediglich um 10,5 Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen um 59,5 Die Risiken für einen gehörigen Wirtschaftsabschwung sehen die Gegengutachter daher in - schrumpfendem Export bei einseitiger Exportorientierung der Wirtschaftspolitik, - einer wieder steigenden Inflationsrate, die den realen Verbrauch im Inland tendenziell wieder senke, - der Fortführung der Ausgabenkürzungspolitik der Bundesregierung (die Staatsausgaben wuchsen 1983 - 1986 mit 4,9 Mrd. DM deutlich geringer als das Bruttosozialprodukt mit 2,8 Jahresdurchschnitt), - lediglich zu 85 - sowohl sektoral als auch regional höchst ungleichen Konjunkturentwicklungen; vor allem der Wohnungsbau, die Werft– und die Stahlindustrie befänden sich im Abschwung, die Küsten– und Ruhrgebietsregion in einer tiefen Krise. Ein durch diese Faktoren bewirkter Konjunkturabschwung berge die Gefahr einer doppelten Verminderung der Massenkaufkraft in sich: Lohnausfall durch Arbeitslosigkeit und dadurch verstärkter Druck auf die Löhne, infolgedessen ein Rückgang der Steuereinnahmen des Staates und weiterer Sozialabbau. Summa summarum wird hier ein Anstieg der Arbeitslosenzahlen (einschließlich der „stillen Reserve“) auf 5 Millionen befürchtet, wobei der Zeitpunkt des Abschwungs „nicht exakt vorhergesagt werden kann“, das nächste Jahr allerdings „nicht unwahrscheinlich ist“. Als Sicherung gegen einen solchen Abschwung schlagen die Professoren eine spürbare Arbeitszeitverkürzung vor. Die Einführung der 35–Stundenwoche bringe einen rechnerischen Arbeitsplatzeffekt von 2,5 Millionen. Auch wenn ein Drittel davon durch zusätzliche Rationalisierung neutralisiert werde, blieben immer noch 1,5 Millionen übrig. Im Übrigen wird wie jedes Jahr ein Ausgabenprogramm von 50 Milliarden DM pro Jahr vorgeschlagen - finanziert über Abgaben und Steuern - zur Schaffung von Arbeitsplätzen in „wichtigen gesellschaftlichen Bereichen“ und für den struktutellen Umbau in der Energieversorgung, Umweltschutz und anderen Bereichen. Gegen die steigende Armut soll schließlich durch eine „soziale Mindestsicherung“ vorgegangen werden - nicht zuletzt auch zur Belebung der „gesamtwirtschaftlichen Nachfrage“ und Stützung der Konjunktur.