AIDS weltweit - Ein Report

■ "AIDS und die Dritte Welt"

„Das im Westen vorherrschende Bild von AIDS ist, daß es sich dabei um ein Problem für Amerika und Europa handelt. Diese Sichtweise ist, wie unser Report zeigt, völlig verfehlt. Die am schlimmsten betroffene Stadt in den USA ist New York, wo einer von 250 Bewohnern HIV–Antikörper im Blut hat. Aber in einigen zentral– afrikanischen Hauptstädten dürfte bereits einer von fünf Einwohnern Träger des Virus sein. Die USA gehen davon aus, daß sie in fünf Jahren rund 150.000 AIDS–Kranke haben werden. Es wird geschätzt, daß sich die Kosten der AIDS–Behandlung von 1991 an auf acht bis 14 Mrd. $ belaufen werden, mit steigender Tendenz. Die Situation in Uganda, Tansania, Ruanda, Zaire, Sambia und vielleicht anderen Ländern ist um das 20– bis 50fache schlimmer als in New York. Amerika ist reich an Geld und medizinischen Ressourcen. Afrika dagegen nicht. Wie sieht nun die gegenwärtige Situation in Afrika aus? Hier ein paar Zahlen: - Zaire: unter den gesunden Frauen in Kinshasa unter 30 ist jede fünfte infiziert, bei der Schwangerschaftsvorsorge jede zwölfte. - Ruanda: 12,5% der städtischen Bevölkerung sind vom HIV–Virus infiziert - Nairobi: 60 Träger - Lusaka, Sambia: unter den männlichen Blutspendern zwischen 30 und 35 Jahren ist jeder Dritte infiziert. Natürlich beruhen die meisten dieser Zahlen auf kleinen Zufallsstichproben, meist unter der städtischen und gebildeten Bevölkerung. In Afrika trifft das Virus vor allem die Jungen, ausgebildeten Professionals, Frauen wie Männer; die Leute, auf denen die Zukunft und die Hoffnungen der Nationen beruhen. Im Kupfergürtel von Sambia sind zwei Drittel aller HIV–Infizierten jung und gebildet. In fast allen afrikanischen Ländern ist das Virus zu Tage getreten und die noch leeren Flecke auf der Landkarte erklären sich eher aus dem Mangel an Informationen, als aus der tatsächlichen Abwesenheit des Virus. In einigen Ländern gibt es erst ein paar AIDS–Fälle, in anderen sprechen wir von hunderttausenden. Die allgemeine Schlußfolgerung ist unausweichlich: Das AIDS–Virus hat sich über die ganze Welt ausgebreitet. Die Weltgesundheits–Organisation (WHO) erwartet, daß sich bis zum Jahre 1990 zwischen 50 und 100 Mio. Menschen mit dem Virus infiziert haben werden. Kein Land ist sicher. Jede sexuell aktive Person auf diesem Planeten ist potentiell in Gefahr. Dies ist der erste Punkt, den unser Report hervorhebt. Der zweite ist, daß fast alle Träger des HIV– Antikörpers am Ende Symptome der Krankheit entwickeln und sterben werden. Es scheint, daß fast alle HIV–Positiven sterben HIV–Antikörper in seinem Blut zu tragen, kommt mit großer Wahrscheinlichkeit einem Todesurteil gleich, dessen zeitliche Vollstreckung noch offen ist. Es scheint immer wahrscheinlicher, daß fast alle Träger des HIV–Antikörpers sterben werden - in 5, oder 10, in 15 oder gar erst in 20 Jahren. Diese Behauptung fällt mir nicht leicht. Wir sind dieser Frage mit aller Sorgfalt mit führenden Virologen, die auf dem Gebiet der AIDS–Forschung arbeiten, nachgegangen, und privat stimmten sie alle dieser Einschätzung zu. Nicht 10 Prozent oder 30 Prozent, 40 Prozent oder 50 Prozent werden am Ende AIDS– Symptome entwickeln, sondern nahezu 100 Prozent. Und wenn die Symptome erst einmal da sind, hat das Opfer gewöhnlich nur noch ein paar Jahre zu leben. Warum haben die Mediziner dies nicht schon längst gesagt? Einige von ihnen haben gesprochen. Aber es gibt da zwei Gründe, warum viele geschwiegen haben, und ich respektiere diese Gründe. Erstens wollten sie den Patienten nicht alle Hoffnung nehmen. Und zweitens läßt sich die These, daß alle Träger des Virus am Ende an AIDS sterben werden, noch nicht beweisen. Alle paar Monate wird eine neue, bessere und sich über einen längeren Zeitraum erstreckende Studie veröffentlicht und die bewiesenen Prozentzahlen schnellen wieder empor. Unsere Kenntnis des Virus und seines Verhaltens in den Lymphozyten des Immunsystems unseres Körpers überzeugt die Virologen, daß das Virus, wenn erst einmal im Blut - Wunder ausgenommen - früher oder später aktiv werden wird, AIDS verursachen und am Ende töten wird. Weil sich das Virus in den Lymphozyten des Körpers (den Zellen, die uns gegen Infektionen schützen) oder in den Gehirnzellen versteckt, sind die Chancen für die Entwicklung eines Heilmittels gegen die Virusinfektion oder gegen AIDS gegenwärtig als sehr gering anzusetzen. Um das Virus zu töten, müßten auch die Lymphozyten oder Gehirnzellen vernichtet werden - und das würde den Körper fast genauso treffen wie AIDS selbst. Auch die Aussichten auf einen Impfstoff sind kurzfristig nicht allzu hoch. Günstigenfalls sind wir noch mehrere Jahre von einem Impfstoff im Labor–Stadium entfernt. Das wären mindestens zehn Jahre bis dieser Impfstoff dann getestet, für sicher befunden, und zur Herstellung bzw. weltweiten Verteilung bereit wäre. Selbst wenn wir einen Impfstoff hätten, würde ein solcher für die dann voraussichtlich Milllionen oder Hundert–Millionen von HIV–Positiven zu spät kommen. Das AIDS–Virus ist kein gewöhnlicher Virus. Es mutiert rasch. Es zerstört den Schutz des Körpers gegen Infektionen. Es besitzt eine sehr lange Inkubations– Periode. Und es wird durch den Sexualverkehr übertragen, einem fundamentalen menschlichen Bedürfnis. Das AIDS–Virus ist ohne Zweifel das gefährlichste Virus, das die Menschheit je getroffen hat. Unsere Reaktion darauf ist bis heute völlig unzureichend gewesen. AIDS bei Neugeborenen AIDS stellt die Entwicklungsländer vor andere Probleme als die USA oder Europa. Nehmen wir das Problem von AIDS unter Neugeborenen. In den USA und Europa trifft die Seuche immer noch in erster Linie homosexuelle Männer. In Afrika sind Männer und Frauen gleich davon betroffen. Wenn eine schwangere Frau das AIDS–Virus bereits in sich trägt, besteht eine Chance von 50:50, daß sie es an ihr Kind weitergibt: im Mutterleib, während der Geburt, oder durch das Stillen. Jedes Zweite mit dem Virus geborene Baby stirbt noch vor seinem ersten Geburtstag. In den fünf Jahren bisher hat es in den USA weniger als 400 AIDS–Fälle unter Babies oder Kleinkindern gegeben. In Sambia, so befürchtet man, wird es im nächsten Jahr rund 6.000 Kleinkinder mit dem Virus geben. Und in Ruanda ist bereits jeder fünfte AIDS–Patient ein Kind. Bald werden wir in Afrika Zeuge einer AIDS–Explosion unter den Neugeborenen. Ihre Eltern werden schon tot sein oder gerade sterben. Sie werden in Ländern geboren werden, in denen die Gesundheits– und Wohlfahrtsdienste unzureichend sind. Unsere Menschlichkeit und unser Mitgefühl werden hier noch mehr gefordert werden, als bei den letzten Hungerkatastrophen. Aber was geschieht, wenn eine Mutter infiziert ist und ihr Baby eines der glücklichen ist, das ohne das Virus zur Welt kommt. Soll sie es stillen oder nicht; und wenn, dann wie lange? Es gibt Gründe anzunehmen, daß das Virus über die Muttermilch auf das Kind übertragen wird. Aber wo das Wasser oft verunreinigt ist, wo die Mütter sich Milchpulver für eine angemessene Diät nicht leisten können, retten Kampagnen zum Stillen Hunderttausende von Babies. Wie soll hier der Rat lauten? AIDS beeinflußt auch die Impfprogramme in der Dritten Welt. Wo viele Kinder schon HIV–Antikörper–Träger sind, müssen Massen–Impf–Kampagnen ohne Wiederverwendung der Nadeln durchgeführt werden. Mütter müssen auf der Sterilisierung von Nadeln bestehen. Wenn ein Kind bereits das AIDS–Virus hat, sein Immunsystem schon geschwächt ist, könnte die Impfung gegen Polio oder andere Krankheiten - die in Kampala oder Kinshasa im Gegensatz zu London oder Paris tödlich sein können - gar zu Polio führen, statt sie abzuwehren. Ich muß betonen, daß es dafür noch keine Beweise gibt. Aber Wissenschaftler glauben, daß dies geschehen könnte, und dies wiederum müßte zu einem völligen Umdenken in den Impf–Strategien von Kindern führen. AIDS gefährdet die Volkswirtschaften Das Virus bringt also nicht nur AIDS mit sich, sondern gefährdet auch einige der wichtigsten Erfolge in bezug auf die Gesundheit in der Dritten Welt. AIDS wird die Volkswirschaften in der Dritten Welt empfindlich treffen. Wir wissen von mindestens einer Bergbau–Firma in Afrika, wo so viele der Arbeiter vom Virus infiziert sind, daß die abzusehenden Krankheitszahlungen das Unternehmen demnächst in die Pleite treiben werden. Im letzten Jahr war die Hälfte der Belegschaft einer Bank in Kinshasa an AIDS erkrankt. Ich möchte auch ein paar Worte zu dem politischen Kontext von AIDS in Afrika sagen. Aufgrund nachlässig zusammengestellter Zahlen haben westliche Wissenschaftler in der Vergangenheit behauptet, in Afrika habe es bereits vor mehr als zehn Jahren eine hohe AIDS–Konzentration gegeben. Dies hat dort großen Anstoß erregt. Afrikanische Wissenschaftler und Regierungen hatten sich der anmaßenden und verletztenden Unterstellung zu erwehren, daß sie die angebliche Verbreitung von AIDS nicht erkannt hätten. Diese Forschungsergebnisse von vor ein paar Jahren sind längst widerlegt. Blutuntersuchungen in Afrika sind heute viel genauer und verläßlicher. Aber die aus der mangelnden Sensivität westlicher Forscher resultierenden Ressentiments sind in Afrika immer noch ein, wenn auch an Bedeutung abnehmender, politischer Faktor in der Verhinderung der Ausbreitung von AIDS. Was muß getan werden, um die AIDS–Pandemie zu bekämpfen, hier in den reichen Ländern und in der Dritten Welt? Jede Nation muß dies für sich entscheiden und die richtigen Schritte werden von Ort zu Ort verschieden sein. Aber die Überwachung der Blutvorräte in bezug auf das Virus ist ein erster Schritt, für den einige Entwicklungsländer technische und finanzielle Unterstützung benötigen. Die Homosexuellen in den USA sind Pioniere Die erste Waffe gegen AIDS ist Aufklärung. Die beste Erfahrungen damit haben die Homosexuellen in den USA und Europa gemacht, und es gibt hier Anzeichen für Erfolge. Die Welt schuldet Amerikas Homosexuellen–Gemeinde ungeheuer viel, für deren Pionierarbeiten in der Aufklärung und in der Popularisierung des Konzepts des Safer Sex. Von San Francisco, wo die bisher längste Aufklärungs–Kampagne läuft, wissen wir, daß die Rate der Virus– Übertragungen auf ein Viertel der Zahlen zwischen 1982 und 1984 gesunken ist. Ruanda betreibt mit Hilfe des Norwegischen Roten Kreuz eines der besten Aufklärungs–Programme in der Dritten Welt. Jede Kampagne ist anders, abgezielt auf die Kultur der jeweiligen Gesellschaft. Erziehung ist also Sache der Nation oder Gemeinschaft, auch wenn gegenseitiges Lernen wertvoll sein wird. Und was ist mit anderen Formen internationaler Aktionen? Die WHO prognostizierte in der letzten Woche für das Jahr 1990 weltweit 50 bis 100 Millionen HIV–Antikörper–Träger und forderte bis dahin einen AIDS– Etat von 1,5 Mrd. $. Doch bis vor ein paar Tagen, bestand das globale „AIDS–Kontroll–Programm“ der WHO noch aus einem Arzt, einer Sekretärin und drei Mio. $. Viele Regierungen versäumen der WHO für ihre wöchentlichen Statistiken aller offiziell registrierten AIDS–Fälle rechtzeitige und akkurate Zahlen zu liefern. Die WHO muß weltweit die Ergebnisse aller Blutuntersuchungen kennen, um die Ausbreitung des Virus korrekt nachzuzeichnen und die Erziehungsprogramme danach auszurichten. Die bisherige Reaktion der WHO wird von den meisten AIDS–Medizinern als unangemessen angesehen. Die Regierungen der reichen Länder müssen die WHO mit den nötigen Mitteln versorgen, um ein aktuelles globales Bild der Seuche zu bekommen und die weltweite Antwort auf AIDS zu koordinieren.“ (Übersetzung Rolf Paasch)