NS–Täter werden zu Widerständlern

■ Bundesregierung beantwortet Anfrage der Grünen zur NS–Justiz / Grüner Kommentar: „Beängstigend und erschreckend“ / Rechtfertigungskurs und Ignoranz der Regierung wie bei der Wiedergutmachungsdebatte

Aus Bonn Ursel Sieber

„Penetrante Großzügigkeit gegen die Täter und kalte Gleichgültigkeit gegen die Opfer“ - so charakterisierte Jörg Friedrich die Geisteshaltung, in der die Bundesregierung eine Große Anfrage der Grünen zur NS–Justiz beantwortet hat. Die Bundesregierung sei bemüht, die Handlungen all ihrer Vorgängerinnen zu rechtfertigen, sagte Friedrich, der zwei Bücher zum Thema veröffentlicht hat und nun von der Stadt Nürnberg mit der Herausgabe der Prozeßakten der zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse beauftragt wurde. 41 Jahre nach Kriegsende seien in dieser Antwort noch dieselben Grundgedanken lebendig, die dazu geführt hätten, daß Nazi– Richter und Staatsanwälte „in höchste Staats– und Richterstellen gelangen konnten“ und „gut dotiert pensioniert wurden“, ergänzte der grüne MdB Ströbele. Die Antwort sei deshalb „beängstigend und bedrückend“. Warum kein einziger Richter der Wehr macht nach dem Krieg zur Verantwortung gezogen wurde, habe die Bundesregierung mit Schweigen beantwortet, sagte Ströbele. Teilen der NS–Justiz billige sie sogar noch einen „Ordnungswert“ zu. In der Tat liest sich die Antwort zur NS–Justiz wie eine Fortsetzung des Wiedergutmachungsberichts. Erstes Beispiel: 16.000 Soldaten sind von der Wehrmachtjustiz vor allem wegen Fahnenflucht und „Wehrkraftzersetzung“ zum Tode verurteilt und zu 90 Entschädigungsgesetz sei jedoch so formuliert, „daß die überwiegende Mehrzahl der Todesurteile nicht als nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen aufgefaßt worden sind“. Die Hinterbliebenen derer, die wegen „Feindsender hören“ oder „Wegwerfen der Waffe“ hingerichtet wurden, seien damit aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten ausgenommen. So die Feststellungen in der grünen Anfrage. An die Bundesregierung ergeht die Forderung nach einer politischen Wil lenserklärung. Knapp wird nun nahegelegt, daß es Ungerechtigkeiten nicht gegeben haben kann. „Die Entschädigungsbehörden der Länder haben derartigen Anträgen entsprochen“, so die Bundesregierung, „wenn im Einzelfall glaubhaft gemacht werden konnte, daß die kriegsgerichtliche Verurteilung eines Soldaten zum Tode eine nationalsozialistische Gewaltmaßnahme...darstellte“. Mit ganz wenigen Ausnahmen „war dieser Nachweis für die Angehörigen nie zu führen“, sagte dazu Ströbele. Zweites Beispiel: Auf ein einziges falsches Detail in der grünen Anfrage geht die Bundesregierung in aller Breite ein. Zu Roemer schrieben die Grünen falsch: „Erster Staatsanwalt beim Volksgerichtshof“, „Mitwirkung an mindestens 25 Todesurteilen“, u.a. gegen Mitglieder der „Weißen Rose“. Die Regierung stellt ausführlich heraus, Roemer sei nie Staatsanwalt, sondern „Leiter der Vollstreckungsabteilung“ gewesen; zu seinen Aufgaben habe daher (nur?) „die Mitwirkung an der Vollstreckung von Todesurteilen“ gehört. „Roemer hatte keine rechtliche Möglichkeit, die Vollstreckung solcher Urteile zu verhindern. Er hat aber durch verzögerliche Behandlung der ihm erteilten Vollstreckungsaufträge gegen Kriegsende eine größere Zahl von Verurteilten vor dem Tode bewahrt.“ Die Bundesregierung scheint sich hierbei auf Aussagen Roemers zu beziehen. Jörg Friedrich zitierte gestern aus einem Vollstreckungsbescheid mit dem Namen Roemers: „Die Vollstreckung des Urteils hat am 13. Juli 1943 im Strafgefängis München Stadelheim stattgefunden. Der Hinrichtungsgang dauerte vom Verlassen der Zelle an gerechnet 46 Sekunden ..., von der Übergabe an den Scharfrichter bis zum Fall des Beils 8 Sekunden ... Zwischenfälle oder sonstige Vorkommnisse von Bedeutung sind nicht zu berichten.“ Roemer war von 1950 bis 1968 Leiter der Abteilung Öffentliches Recht im Bundesjustizministerium.