Zwischen Faszination und Ablehnung

■ Sind die Grünen anti–amerikanisch oder eine „amerikanische“ Partei? Ein Diskussionsbeitrag von Michael Fischer

Berlin (taz) - Sich wie die Grünen gegen den Vorwurf des Anti– Amerikanismus zu wehren, ist angesichts des in der BRD weitverbreitenden Ressentiments gegen die verbündete Weltmacht geradezu lächerlich. Gegen die Kritiker von Rechts führen die grünen Wahlkampfstrategen an, nicht gegen Amerika, sondern gegen Reagan zu sein. Das ist eine billige Wahlkampf–Lüge. Natürlich sind sie anti–amerikanisch - wie die meisten Deutschen. Nicht erst seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs lechzen die Nachfahren der „Dichter und Denker“ nach dem „amerikanischen Traum“, nach dem Lebensgefühl der „Sieger“, während sie es gleichzeitig als kulturlos verdammen und ihre Begierde mit bizarren Vorurteilen zu unterdrücken versuchen - bislang jedoch vergeblich. „Big Brother“ Nach 40 Jahren begeisterter wie angewiderter Nachahmung des „american way of life“ wäre es an der Zeit, sich mit der Wirklichkeit des deutsch–amerikanischen Verhältnisses auseinanderzusetzen. Statt jedoch den Finger in diese nationale Wunde zu stoßen und die US–Psychose der Deutschen aufzudecken, verstecken sich die grünen Strategen hinter fadenscheinigen Argumenten. Aus Angst, mit ihrer Ausstiegsposition zur NATO die verängstigten Wählermassen abzuschrecken, rechtfertigen sie sich vor einer Regierungskoalition, die selbst bestes Beispiel für die schizophrene Haltung der Deutschen gegenüber den USA ist. Der Drang zur An passung und Nachahmung des „Großen Bruders“ schlägt auch bei den gewählten Statthaltern US–amerikanischer Großmachtpolitik in Bonn ständig um in ein übersteigertes Bedürfnis nach Anerkennung und mehr Selbständigkeit. In ihrem spätpubertären Verhalten gegenüber den USA unterscheiden sich die Regierenden nicht wesentlich von den Linken. Die offene oder versteckte Bewunderung, gepaart mit neidvoller Ohnmacht und politischer Ignoranz, stürzt die Erben deutscher Geschichte, Linke wie Rechte, BRDler wie DDRler, von einem Extrem ins andere. Im Taumel zwischen verzückter Anbetung und heftiger Ablehnung bleiben uns die amerikanische Wirklichkeit - und unsere eigene - verschlossen. Statt mit den amerikanischen Anti–Amerikanern gemeinsame Sache zu machen und atlantikübergreifende Perspektiven für die Auseinandersetzung mit den im NATO–Block zusammengeschlossenen Rüstungs– und Betonfanatikern zu entwickeln, verlieren wir uns in unseren Vorurteilen und Nationalismen. „Leistungsvergleiche“ Wider besseren Wissens kursiert das Vorurteil, in den USA gebe es auf der politischen Bühne neben Reagan und einigen verdorbenen Demokraten nur den dubiosen Polit–Prediger Jesse Jackson, in der Absurdität nur vergleichbar mit der gegenteiligen Sichtweise, in der BRD gäbe es neben Kohl nur einige angepaßte Sozialdemokraten und Petra Kelly. Trotzdem sind sich die hießigen Amerika– Kenner einig, daß die dortige Opposition zu schlaff ist. Stolz pochen die bundesdeutschen Erben von Woody Guthrie und Joan Baez auf ihre Errungenschaft, die grüne Partei, und halten der US–amerikanischen Opposition vor, nicht auch ähnliches vollbracht zu haben. Die US–Amerikaner sind hingegen, wohl in Folge ihrer außereuropäischen Sichtweise, der Meinung, daß die Grünen die erste „amerikanische“ Partei in der BRD seien. Nicht nur habe der Amerika–Zögling, Petra Kelly, die Partei maßgeblich beeinflußt, eine Vorstellung, die viele Grüne als Ketzerei empfänden. Die vier Grundprinzipien der Partei, gewaltfrei, basisdemokratisch, ökologisch und sozial, seien darüber hinaus alle auf dem Mist der amerikanischen Oppositionsbewegung entstanden, lange bevor es in der BRD auch nur Ansätze für eine Grüne Partei gegeben hat. Tatsächlich liegen genußsüchtige Altspontis, konvertierte „Müslis“ und der Rest der verbürgerlichten Linken auch heute wieder im amerikanischen Trend. Nach den revolutionären „Black Panther“ und den kiffenden Hippies sind sie heute auf die „Yuppies“ fixiert, die amerikanischen Vorbilder moderner, aufstrebender junger Menschen. Noch sind zwar in der Grünen Partei die Moralisten in der Überzahl, die diese neue Spezie nur mit Abscheu bewundern. Für die alternativen Kleinbürger ist der Götze der amerikanischen Yuppies, die neue Technik, noch ungeheuerlich. Doch der jung–dynamische Aufsteiger steht auch bei uns am Anfang einer steilen Karriere. Com puterfreaks, Filmemacher und Jungmanager sind die „leader“ der neuen Bewegung, die - glaubt man den amerikanischen Prophezeiungen - auch bei den Grünen den Ton angeben werden. Neid und Vorurteile Das gespaltene Verhältnis zu den USA und zu uns hat Tradition. Der Konflikt ist so alt wie die Besiedelung und Eroberung Nordamerikas durch die Europäer. Es ist ein Verhältnis zwischen Ausgewanderten und Zurückgebliebenen, ein Verhältnis, das befrachtet ist mit Neid, Vorurteilen und dem Mythos des Neuen, der Hoffnung auf Veränderung. Die Zuhause– Gebliebenen fühlten sich im Stich gelassen, schwärmten aber gleichzeitig von ihren „Onkels in Amerika“. Während der Nazi– Zeit verstärkte sich dieser Widerspruch. Die Amerikaner wurden als degeneriert und kulturlos denunziert, während gleichzeitig Tausende vor den „Herrn des Tausendjährigen Reichs“ jenseits des Atlantiks Zuflucht fanden. Für Hunderttausende wurde der amerikanische Mythos, der sich vorallem im Jazz manifestierte, zur Überlebensdroge in Zeiten ideologischer Verarmung und politischen Terrors. So erklärt sich auch die überraschend unkomplizierte Unterwerfung unter die amerikanische Besatzungsmacht; die scheinbare Selbstaufgabe war die massenhafte Hinwendung zum greifbar gewordenen Mythos. In der kulturellen Wüste der Nachkriegszeit schlug der 68–Politkultur–Import aus den USA ein wie eine Bombe. Doch der Vietnam–Krieg war willkommener Anlaß, sich seinen angestauten Ärger über die Besatzer–Freunde und die vermiefte Arschkriecherei der Eltern aus der Kehle zu schreien. Das fernöstliche Land selbst war einem damals so egal wie heute. Wie ihre Eltern benutzten allerdings auch die neuen Revolutionäre die USA als Blitzarbeiter für wesentlich näher gelegene Schwierigkeiten. Die „Adenauers“ hatten sich nach dem Krieg mit der bedingungslosen Anlehnung an die USA erfolgreich um eine Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte herumdrücken und eine nachträgliche Absolution für ihre „Kollektivschuld“ erkaufen können. Die neu entstandene Linke wähnte sich entsprechend sicherer, gegen den US–Imperialismus in Vietnam anzuschreien, statt der eigenen Regierung stärker auf die Füße zu treten. Ähnliches ist auch heute zu beobachten. Als Reagan den Reykjavik–Gipfel an SDI scheitern ließ, entrüsteten sich die Friedensbewegten über die Halsstarrigkeit des Präsidenten und sahen sich in ihren anti–amerikanischen Ressentiments bestärkt. Als Kohl kurz darauf Reagan anflehte, keinesfalls einem Abkommen zum Abbau der Mittelstreckenraketen in Europa zuzustimmen, zogen sie lediglich ein langes Gesicht und gingen zur Tagesordnung über. Das Verhältnis zu den USA bestätigt sich so durch seine Einseitigkeit, und die vielfach beschworene Zusammenarbeit mit der dortigen Opposition bleibt ein frommer Wunsch.