„Von meinem Herzen bedrängt bin ich hier“

■ Die „Initiative für ein NS–Dokumentationszentrum“ lud am Donnerstag ehemalige NS–Zwangsarbeiter aus vielen Ländern nach Köln ein / Die Erinnerung an ihr Schicksal wachzurufen ist ebenso wichtig wie ihre Entschädigungsansprüche

Aus Köln Matthias Geis

„Und die Jahre vergehen in diesem verfluchten Land.“ Diese Inschrift eines Häftlings im Gestapokeller des EL–DE–Hauses in Köln gab das Motto, unter dem am Donnerstag abend ehemalige NS– Zwangsarbeiter aus Polen, Frankreich, Belgien und der Sowjetunion über ihre Erfahrungen berichteten. Ins Forum der Volkshochschule hatte die „Initiative für ein NS–Dokumentationszentrum im EL–DE–Haus“ geladen; allein ihrem Engagement verdankt sich die Erhaltung Tausender von Häftlingsinschriften in den ehemaligen Gestapozellen. Seit 1979 fordert die Inititative die Umwandlung des EL–DE–Hauses in eine zentrale Dokumentationsstätte. „Von meinem Herzen bedrängt bin ich hier, um die Initiative zu unterstützen“, so Heinz Kühn, ehemaliger Ministerpräsident von Nordrhein–Westfalen, dessen Mutter in der Kölner Gestapozentrale inhaftiert und gefoltert wurde. Kühn, während des Zweiten Weltkriegs im Widerstand, erlebte die Jagden auf Zwangsarbeiter in Belgien: Dort hätten die „Kettenhunde der Gestapo“ ganze Straßenzüge abgesperrt und die Häuser nach „Menschenmaterial für die deutsche Rüstungsindustrie“ durchkämmt. In Schlafanzügen, so Kühn, wurden die Menschen auf Lastwagen verladen und deportiert. Verglichen mit den sowjetischen und polnischen Arbeitern sei die Behandlung der 175.000 zwangsrekrutierten Belgiern eher „noch glimpflich“ gewesen; „doch ihre menschliche Würde ist zertreten worden“. Die Erinnerung daran wachzurufen sei notwendig, so Auguste Roeseler aus Brüssel, „damit die kommenden Generationen wissen, was passiert, wenn ein Regime die Menschen teilt in Obermenschen und Untermenschen“. In Roeselers französisch gehaltenem Vortrag über die menschenverachtenden Lebensbedingungen am Rande des Existenzminimums markieren die unübersetzbaren Begriffe des Nazi–Jargons Ursprung und Unvergleichlichkeit des deutschen Terrors: „le Obermensch, le Untermensch, le Arbeitserziehungslager...“. Nur weil in der Frage der Zwangsarbeit die Interessen der Naziherrschaft und des Kapitals so eng miteinander verstrickt sind, so der Franzose Jean Forest, sei diese Seite der NS–Herrschaft bis heute kaum bekannt. In diesem Sinne sprach Kasimerz Kakol aus Warschau von einer „umgebogenen, zusammengestutzten und verzerrten Aufklärung“ über die zehn Millionen NS–Zwangsarbeiter. Einem Schülerwettbewerb - „Alltag im Nationalsozialismus“ - sei es vorbehalten gewesen, den Namen der historischen Forschung in der Bundesrepublik zu retten. Entschädigungsfrage Das Leiden der Zwangsarbeiter, wie aller anderen Verfolgten des NS–Regimes könne, so Kakol, niemals durch materielle Leistungen kompensiert werden. Jedoch fehle es „an menschlichem Ver ständnis und politischem Willen“ der Verantwortlichen, um die berechtigten Entschädigungsansprüche überhaupt anzuerkennen. Verbittert sprach Kakol von „Täuschungsmanövern und Paragraphenslalom“ bundesdeutscher Behörden: Entweder würden geltend gemachte Ansprüche als „verspätet“ oder - in Ermangelung eines deutsch–polnischen Friedensvertrages - als „verfrüht“ abgetan. „Wer weiß, was 5.000 Mark einer polnischen Frau für ihren Lebensabend bedeuten“, beschwor der Historiker Ulrich Herbert das Plenum, „der weiß um die Brisanz dieser Frage.“ Den Menschen, die eine Entschädigung und gegen Ihren Willen für die deutsche Firmen und Kommunen gearbeitet hätten und die heute in Not lebten, müsse sofort und unbürokratisch geholfen werden. Herbert plädierte für einen Fonds der deutschen Wirtschaft: Die Profiteure der Zwangsarbeit müßten heute ihrer Verpflichtung nachkommen. Entgegen der bisherigen Praxis sieht Herbert in den Konzernen heute zumindest Gesprächsbereitschaft. „Es sind wirklich nur noch wenige Jahre“, so der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele, „bis das eintritt, was mit dem bitteren Begriff der biologischen Endlösung bezeichnet wird. Hier tragen wir eine Verantwortung, für die wir etwas tun müssen und tun können.“