Wenn der Hahn mit der Henne...

■ Über die geschlechtliche Entwicklung des Menschen - Ein kritischer Blick in gängige Schulbücher

Schulisch betrachtet gehört die menschliche Sexualität ins Fach Biologie, zwischen Blumen, Bienen und Schmetterlinge; verlangt wird „ein auf Wissensvermittlung beschränkter Unterricht von Fakten aus dem Sexualbereich“ (Bundesverfassungsgericht zur Sexualkunde an der Schule, 12.12.77). Wertneutralität wird für möglich gehalten. Daß es sich hierbei allerdings um reines Wunschdenken handelt, zeigt ein Blick in entsprechende Schulbücher. Als Paradebeispiel dafür mag das Buch „Biologie 2“ (Klasse 7/8, Glombeck, Schöningh Verlag) gelten. Hier geht es um biologische Abläufe bei „Lebewesen“. Das Kapitel über die geschlechtliche Entwicklung bei Jugendlichen besteht in der Hauptsache aus gründlichen Informationen über Drüsen, Hormone, Struktur und Aufbau der Sexualorgane. Besonders betont wird die Hygiene, denn offenbar verursacht die Geschlechtsreife in der Hauptsache üble Gerüche und Schmutz. Im nächsten Kapitel nun die Fortpflanzung der Lebewesen. Hering, Huhn und Rind dienen dabei zur Erklärung der sogenannten Befruchtung. Ein anschauliches Textbeispiel folgt: „Bei der Begattung preßt der Hann seine Kloake eng an die Kloake der Henne...“ Nun erst wird auf den gleichen Vorgang beim Menschen eingegangen. Zitat: „Die geschlechtliche Vereinigung soll ein körperlicher Ausdruck der Liebe zwischen Mann und Frau sein.“ Zitatende - denn mit diesem Satz erschöpft sich bereits die Information zum Thema. Im übrigen wird von zusätzlicher Fachlektüre abgeraten: Dabei gebe es Dinge zu lesen, die nicht zu verstehen seien und verwirren könnten. Doch was bieten die Schulbücher? Ordentlich gegliedert und aufgeteilt nach Themen wird der Stoff präsentiert, passend zu den entsprechenden Unterrichtseinheiten, ergänzt durch zusätzliche Aufgaben und Fragestellungen. Wie sehr aber diese Struktur schon zu inhaltlichen Wertungen beiträgt, wird beson ders bei den Büchern deutlich, die die notwendigen sozialen Aspekte des Themas Sexualität miteinbeziehen: Liebe und Lust (“Es sind hier hauptsächlich die Hormone“), Freude am eigenen Körper und dem des anderen (“Die erste Verabredung... ist für Jugendliche ein wesentlicher Schritt“), das Herantasten ans Erwachsenenalter (“Der junge Mensch... neigt zum Widerspruch und zur Opposition“), also die ganze Palette der Empfindungen Jugendlicher wird entfremdet und in wissenschaftliche Begriffe, Tabellen, Statistiken, Fotos und Grafiken gepackt. Abfragbares Wissen eben. Die Geschlechtsreife bei Jugendlichen wird festgemacht am Eintritt von Menstruation und Pollution, wobei Menstruation natürlich zum Kinderkriegen vorbereitet, Pollutionen hingegen begleitet sind von wollüstigen Gefühlen. Dieses sattsam bekannte männlich/weiblich–Schema wird auch an anderen Stellen deutlich: Wenn von sexueller Gewalt die Rede ist, dann ist das ein trauriges Kapitel „menschlicher“, nicht etwa männlicher Sexualität. Oder: Bei einem Abschnitt über Verhütungsmethoden wird das Kondom erklärt; weiter heißt es: „Um den unmittelbaren Hautkontakt der Geschlechtsorgane und damit die sexuellen Empfindungen nicht zu beeinträchtigen, hat man Verhütungsmittel entwickelt, die die Frau bei sich anwendet und den ungestörten Verkehr erlauben“ (Metzler, Biologie des Menschen; Hervorheb. d.V.). In einigen der Schulbücher gibt es durchaus auch einige bemerkenswert aufgeschlossene Aussagen, zum Beispiel die: Das Rollenverhalten von Jungen und Mädchen sei gesellschaftlich geprägt, oder: Die Sexualität diene nicht nur der Fortpflanzung, sondern allgemein der Entwicklung der Persönlichkeit. Wer nun welches Schulbuch zu lesen bekommt, entscheiden nicht die Lehrer alleine. Schulbücher müssen von den jeweiligen Kultusbehörden der Länder zugelassen werden. Daß dabei gezielt darauf geachtet wird, welche Werte die angeblich wertneutrale faktische Wissensvermittlung vertritt, zeigt sehr deutlich die Tatsache, daß besonders Bayern und Baden–Württemberg Schulbücher anderer Länder nicht so ohne weiteres verwenden, inhaltliche Veränderungen wünschen, wenn zu offen über Aspekte der menschlichen Sexualität gesprochen wird, die nicht ins konservative Weltbild passen. Heike Brandt Grundlage dieses Artikels sind folgende Schulbücher: Glombeck, Biologie 2, Schöningh Verlag 1980/84 Linder, Biologie des Menschen, J.B. Metzler 1981/86 Gerhardt, Biologie des Menschen, Bayerischer Schulbuch–Verlag 1983 Binder, Einführung in die Biologie, Bd. 1, Diesterweg 1977 Garms, Lebendige Welt, Biologie 2, Westermann 1975 (nicht mehr lieferbar)