Der letzte Applaus für Roberto Parada

■ Das Begräbnis des populären chilenischen Schauspielers wurde zu einer Demonstration gegen die Diktatur / Zehn Stunden lang zogen Gäste am Sarg vorbei

Aus Santiago Iris Stolz

Es war in Santiago bei einer Theateraufführung im März 1985, als ein Schauspieler plötzlich aus der Rolle fiel und schrie: „Sie haben meinen schönen Sohn getötet.“ Dann trocknete er seine Tränen, entschuldigte sich beim Publikum und spielte weiter. Dieser Schauspieler war Roberto Parada. Sein Sohn, Jose Manuel, war in jenem Monat zusammen mit drei Lehrer– kollegen von „nicht identifizierten Zivilen“ entführt worden. Ein paar Tage später wurden sie in der Nähe des Flughafens gefunden - mit durchgeschnittener Kehle. „Roberto Parada ist an seinem Kummer gestorben.“ So drückte es die Witwe des Sohnes aus, und so zitierten es die Redner, die ihm am Mittwoch das letzte Geleit gaben: Theaterdirektoren, Schauspieler, Parteien– und Studentenvertreter. Parada war berühmt und beliebt, weit über die Grenzen seiner Partei - der Kommunistischen - hinaus. Zehn Stunden lang zogen die Chilenen an seinem Sarg vorbei, der seit gestern abend in einer ehemaligen Residenz Pablo Nerudas aufgebahrt war. Über 200 Personen erwarteten seinen Leichnam am Flughafen, denn Don Roberto war nicht in seiner Heimat gestorben. Im September dieses Jahres verließ er Chile, nachdem anonyme Anrufer ihm prognostiziert hatten, daß er dasselbe Schicksal wie sein Sohn haben werde, und nachdem vier weitere Linke, darunter der Journalist Jose Carrasco den sogenannten „nicht identifizierten Zivilen“ zum Opfer gefallen waren. Die Anrufer sollten nicht recht behalten. Roberto Parada selbst stellte eine richtigere Prognose auf, als er in einem Interview auf die Frage, ob er niemals daran gedacht hätte, Chile zu verlassen, antwortete: „Niemals. Draußen sterbe ich.“ Krank geworden war er allerdings in Chile, an einer Thrombose, die er im Mai dieses Jahres erlitt. Gestorben ist der 77jährige in Moskau am 19. November, zwei Monate, nachdem er Chile verlassen hatte. Als sein toter Körper am Dienstag nach Santiago zurückgeflogen wurde, verfügte das Gesundheitsministerium kurzerhand, daß er direkt zum Friedhof gebracht und innerhalb eines Tages beerdigt werden müsse. Die Gerichte entschieden jedoch, daß dies gesetzeswidrig sei, und erlaubten die Aufbahrung, so daß Parada schließlich nach etwa sechs Stunden gegen Abend endlich „freigegeben“ wurde. Am Mittwochmittag verabschiedeten Tausende von Chilenen den Schauspieler auf dem Friedhof. Zwischen den Gräbern wurden Sprechchöre laut: Das traditionelle „y va a caer“ (und er wird fallen), aber auch Parolen für den bewaffneten Kampf waren zu hören. Die Redner aus Kultur und Politik erinnerten an das Leben Paradas. Roberto Parada wurde in Concepcion als Sohn eines Bauern geboren. Er wurde Englischlehrer in Santiago, trat in die „Kommunistische Partei“ ein und verliebte sich in Maria Maluenda, die sich später als Parlamentarierin einen Namen machte. 1942 arbeitete er an der Gründung des Experimentiertheaters der „Universidad de Chile“ mit. Das erste Stück war von Cervantes, „La guarda cuidadosa“ (Die vorsichtige Wache). Von da an widmete sich Parada dem Theater. „Das Schönste am Schauspielerberuf ist“, sagte er, „vom Bettler zum König zu werden, und der kollektiven Seele neue Visionen zu geben.“ In seinem letzten Stück (“Lo que esta en el aire“ - „Was in der Luft liegt“ von Carlos Cerda) spielte Parada einen Lehrer, dessen Schüler verschwindet. Schwerlich konnten die Zuschauer nach dem Tod seines Sohnes noch die Bühne von der Realität trennen. Parada, den die MDP, das Bündnis der linken Parteien in ihrem Abschiedsbrief als Symbol der kulturellen Identität Chiles bezeichnet, bewunderte zwei Menschen: Pablo Neruda, den er in Antonio Skarmetas „Ardiente Paciencia“ (Brennende Geduld) spielte, und Sokrates, von dem er lernte, „daß ein Mensch, der einen Weg als besten und gerechtesten gewählt hat, weitergehen und allen Risiken die Stirn bieten muß, so daß nicht einmal der Tod ihn hindert. Nur muß er sich davor hüten, eine ehrlose Tat zu tun.“ 1958 wurde Don Roberto gefragt, welches für ihn gefühlsmäßig die intensivsten Momente seines Lebens gewesen seien. Er antwortete: „Als Schauspieler den Applaus am Ende unseres ersten Stückes, als Mensch gibt es zwei: als meine beiden Kinder geboren wurden.“ Am Mittwoch bekam Don Roberto seinen letzten Applaus. Seine Ehefrau Maria Maluenda hatte darum gebeten: „Ein Applaus war es, den er immer bekam am Ende seiner Arbeit, seiner Arbeit, die ein Pakt war mit der Liebe zur Schönheit“, und Tausende von Chilenen applaudierten ihm lange, so wie nach einem Theaterstück, nach dem ein Riesenpublikum Zugaben verlangt - aber auf die „Zugabe“–Rufe wartete man vergeblich.