70.000 Polizisten besetzten Seoul

■ Großeinsatz bei der Polizei in Südkorea verhindert geplante Demonstration der Opposition / Fast 2.000 Demonstranten festgenommen / Hausarrest für Oppositionsführer / Schwere Auseinandersetzungen in Seoul

Seoul (dpa) - Mit einem der massivsten Polizeieinsätze der letzten Jahre hat die südkoreanische Regierung am Samstag eine Demonstration im Keim erstickt, zu der die Oppositionsparteien eine Million Menschen in die Hauptstadt holen wollten, um ihrer Forderung nach Direktwahl der Staatspräsidenten durch das Volk Nachdruck zu verleihen. Rund 70.000 mit Schilden, Knüppeln, Helmen und Gasmasken bewehrte Polizisten setzten Tränengasgranaten schon auf den Zugangsstraßen ein, so daß kein Demonstrant den Versammlungsplatz erreichte. Nach Angaben des Polizeichefs von Seoul wurden 1.937 Demonstranten festgenommen. Am Tag der Kundgebung selbst hielt die Polizei nach Angaben aus Oppositionskreisen rund 250 politische Führer und Aktivisten in ih ren Häusern oder Wohnungen fest, um ihre Teilnahme an der Kundgebung zu verhindern. Zahlreiche Studenten hatten versucht, mit großen Transparenten zum Stadtzentrum vorzudringen, die Inschriften wie „Nieder mit den Yankees, nieder mit der Militärdiktatur“ trugen. Sie werfen den USA, die gut 40.000 Soldaten in Südkorea stationiert haben, seit langem die Unterstützung von Staatschef Chun Doo Hwan vor, der 1980 durch einen Militärputsch an die Macht gekommen war. Oppositionsführer Kim Dae Jung, der nach einem blutig niedergeschlagenen Volksaufstand gegen Chun in seiner Heimatstadt Kwangju 1980 zunächst zum Tode und dann zu einer 20jährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden war, hatte für die Kundgebung eine Tonband–Botschaft aufneh men lassen - er darf sich offiziell politisch immer noch nicht betätigen. Darin warf er dem Staatschef vor, die demokratischen Kräfte des Landes mit der Behauptung zu diffamieren, sie seien pro–kommunistisch. Fortsetzung auf Seite 6 Nach Angaben aus Oppositionskreisen wurden bereits am Freitag etwa 250 politische Führer und Aktivisten unter Hausarrest gestellt. Kim Dae Jung durfte schon seit Dienstag sein Haus nicht mehr verlassen. Die Polizeiführung hatte es mit mehreren hundert Beamten umstellt. In ganz Seoul kam es auch nach der Auflösung der Demonstration zu schweren Auseinandersetzungen zwischen re gierungsfeindlichen Demonstranten und der Polizei. Polizisten umringten auch das Parteihaus der NKDP, alle ausländischen Vertretungen, sowie Regierungs– und Rundfunkgebäude. Zwei Stunden nach dem geplanten Beginn wurde die Kundgebung von den Veranstaltern abgesagt. Statt dessen begannen führende NKDP–Funktionäre mit einem Sitzstreik aus Protest gegen die Polizeiaktion. Am Sonntag morgen verließen die Teilnehmer an der Sitzdemonstration jedoch das Parteihaus, versicherten aber, daß sie weiter für eine neue Verfassung kämpfen wollten. Die Demonstration von Seoul ist vorläufig der Höhepunkt einer Reihe von Protestaktionen der inner– und außerparlamentarischen Opposition in Südkorea. Bereits im April und Mai waren im Süden des Landes mehrere Hunderttausend Menschen für eine Verfassungsänderung auf die Straße gegangen. Ziel dieser Aktion, zu denen die Opopositionsparteien NKDP seit Februar in einer landesweiten Aktion aufgerufen hatte, war es, zehn Millionen Unterschriften für den Rücktritt des Diktators Chun zu sammeln. Der Ex–Fallschirmspringer– Leutnant ist in Südkorea vor allem deswegen verhaßt, weil er für das Masaker von Kwangju verantwortlich ist. Bei dem Gemetzel im Mai 1980 hatten Elitetruppen Chuns eine Demonstration in der südlichen Stadt niedergemacht. Nach Schätzungen der Anti–Regierungskreise und der Kirchen, sollen dabei nahezu 2.000 Menschen ermordet worden sein. Den amerikanischen Streitkräften im Land werfen die Südkoreaner die logistische Unterstützung der Aktion vor. Hatte Chun noch zu Beginn der Unterschriftenaktion gedroht, er werde jeden Unterzeichner in die nicht wenigen politischen Gefängnisse des Landes stecken, so zeigte er sich unter der Übermacht der Protestwelle anfänglich kompromißbereit. Er kündigte an, zum Frühjahr 1988 zurückzutreten und die Macht „friedlich“ zu übergeben. Im Parlament, in dem seine Gerechtigkeitspartei die Mehrheit besitzt, ließ er ab September über einen Kompromiß zur Verfassungsänderung diskutieren. Energisch sprach sich Chun jedoch gegen eine Direktwahl des Präsidenten aus, weil die Opposition dann nach Ansicht von politischen Beobachtern mit Sicherheit den nächsten Präsidenten von Südkorea stellen würde. J.K.