Israelische Realität auf einer deutschen Bühne

Drei Männer schlagen eine Frau zusammen: „Du jüdische Verräterin. Mit Arabern rumzuhuren, du dreckiges Schwein“. Aber die Situation wirkt nicht bedrohlich. Schauplatz ist nicht die Straße, kein Winkel - es ist ein Filmstudio. „Schnitt!“ Die Schlägerei ist nur ein Spiel im Spiel. Sie hat aber ein reales Vorbild. Joshua Sobol, israelischer Autor, der mit „Ghetto“ bekannt wurde, erzählt in seinem Stück „Die Palästinenserin“ die Geschichte einer gescheiterten Liebe: zwischen einer in Israel lebenden Araberin, Magda, und einem einer rechtsradikalen Gruppe zugehörigen Juden, David. Magda provoziert mit einem arabischen Kommilitonen, Adnan, auf einem Uni–Fest die israelischen Studenten durch die Geschichte vom gnadenlosen Wolf und dem intelligenten Lamm. Während Adnan entkommen kann, wird Magda zusammengeschlagen - weil sie für eine Jüdin gehalten wird, die einen Araber liebt. „Gib uns Name und Adresse von diesem Araberschwein, mit dem du rumbumst“ -“Nürnberg Allee, Ecke Auschwitz“. Es gelingt ihr, sich als Araberin zu erkennen zu geben und sie wird laufengelassen: „Eine Araberin mit gesunden nationalistischen Ansichten kann ich durchaus verstehen und schätzen“, sagt später einer der Schläger, David, und sucht sie zuhause auf, will ihr den Krankenhausaufenthalt bezahlen. Die beiden verlieben sich ineinander - und werden dafür von allen Seiten unter Druck gesetzt, unter dem die Beziehung zerbricht. Weil Sobol nicht an die Katharsis der klassischen Tragödie glaubt, sondern an die Lust am Spiel, hat er einen, für seine Arbeit kennzeichnenden Kunstgriff angewandt: Er kreiert ein Spiel im Spiel, läßt ein Videoteam die Geschichte von Magda und David drehen, das - zweite Verfremdungsebene - die Rolle der Palästinenserin mit einer jüdischen Schauspielerin (Dahlia), die des einer rechtsradikalen Gruppe angehörenden David mit einem links orientierten Israeli (Udi) besetzt hat und die einzelnen Szenen von dem Vorbild für die Magda, der Palästinenserin Samira, mit kurzen Texten einleiten läßt. In der bundesdeutschen Erstaufführung, die am Samstag in Bonn Premiere hatte, und in wohl jeder bundesdeutschen Aufführung, kommt eine dritte, vom Autor nicht vorgesehene Brechung hinzu: deutsche Schauspieler spielen ein Stück, das die brisante innere Lage Israels zum Thema hat. Der Regisseur Peter Eschberg hat diese Ebene, und das macht wohl die konzeptionell entscheidende Schwäche seiner Inszenierung aus, nicht reflektieren wollen. Ihn interessieren konsequenterweise vor allem die auch noch in Sobols Stück angelegten Bezie hungsprobleme innerhalb des Video–Teams: Regisseur Benesh hatte eine Affäre mit Dahlia, Dahlia ist eifersüchtig auf Samira. Auf der Bühne findet deshalb ein Gefühlsausbruch nach dem anderen statt. Insbesondere Susanne Tremper als Dahlia beziehungsweise Magda findet zwischen ihrem schreiend vorgetragenen Ärger über die vermeintliche Verlogenheit von Samiras Geschichte und ihrer, mal schluchzenden, mal aggressiven Verzweiflung über das chauvinistische Gehabe des Regisseurs Benesh kaum konzentrierte ruhige Momente. Dadurch verliert die Inszenierung über weite Strecken das, was sich Sobol vom Theater wünscht: „Gefährlichkeit“. Lediglich Susanne Bialucha, die die Samira spielt, gelingt es, in ihren kurzen, auf Monitoren zu sehenden Berichten über die Vorkommnisse einen Eindruck von der Bedrohung zu vermitteln, der sie sich, einen Juden liebend, ausgesetzt sah - und damit von der Militanz der Verhältnisse in Israel. Erst das Schlußbild der Inszenierung zeigt etwas von den politischen Intentionen des Bonner Schauspiel–Teams: Der Sängerin Tal Amir, die die hebräischen Lieder, die in die Revuepassagen des Stückes einmontiert sind, singt, steht Rene Toiussant, der den arabischen Schauspieler Fahed spielt, gegenüber. Beide harren aus, bewegen sich nicht aufeinander zu - sie singt, er steht, die Hände in den Hosentaschen, da, halb zuhörend, halb als wolle er sie auffordern: schlag doch zu, ich werde mich zu wehren wissen. „Wir werden feststellen, daß wir keine Berge versetzt haben. Andererseits werden wir merken, daß sich auch kein Abgrund aufgetan hat“, heißt es kurz zuvor im Text. „Wer die Palästinenserin gesehen hat, fängt an, die Araber zu verstehen“, behauptet die Bonner Theaterzeitschrift und sinniert, daß das Thema „nach der jüngsten Novellierung des Terroristengesetzes möglicherweise verboten gehört“. Beides ist bloße Koketterie. In Bonn–Beuel findet nur am Rande politisches Theater statt. Und verbreitet war nach der Vorpremiere beim Publikum Ratlosigkeit: daß in Israel auch Araber leben, war vielen unbekannt. Oliver Tolmein