Rückzieher auf Polens Gewerkschaftskongress

■ Der Alleinvertretungsanspruch als Gewerkschaftsverband wurde in der Nacht zum Sonntag zurückgezogen / Die Tür für einen Gewerkschaftspluralismus bleibt weiter offen / Die Untergrundführung der verbotenen Solidarnosc ignorierte den Kongress

Warschau (dpa/afp/taz) - Die Delegierten des offiziellen Dachverbandes der polnischen Gewerkschaften (OFZZ) taten sich schwer. Mehrmals mußten sie ihre Position auf dem am Sonntag zuende gegangenen Kongress in punkto Alleinvertretungsanspruch verändern. In der Nacht zum Sonntag kam es endlich zu einem Kompromiß: Die Definition des Dachverbandes „einziger Vertreter der neuen Gewerkschaften zu sein“, wurde ersetzt durch die Formulierung „Vertreter der neuen Gewerkschaften“. Die Gegner des Alleinvertretungspassus hatten in der Debatte die Befürchtung geäußert, daß die Mitglieder darin einen Versuch sehen könnten, wieder in den Zentralismus der Zeit vor 1980 zurückzufallen. Damit ist weiterhin offen, ob die im Untergrund arbeitende „Solidarnosc“ nicht doch noch legalisiert werden kann. Der neue Dachverband war 1982 gegründet worden, weil nach dem Verbot von Solidarnosc keine Vertretung der Arbeiter mehr existierte. Seither bemühte sich die Gewerkschaftsspitze, ihren politischen Spielraum gegenüber der Regierung zu beweisen, indem sie Konflikten in den Betrieben durchaus nicht immer aus dem Wege ging. Doch zeigte sich auch bald, daß trotz des Anwachsens der Mitgliederzahl auf sieben Millionen das Mißtrauen vieler Arbeiter gegenüber den Staatsgewerkschaften bestehen blieb. Dieses Mißverhältnis ist auch der Gewerkschaftsspitze bewußt. Der auf dem Kongress mit knapper Mehrheit wiedergewählte Vorsitzende Alfred Miodowicz sagte in einem Interview mit der polnischen Nachrichtenagentur PAP, der „Dachverband müsse sich als authentische und glaubwürdige Vertretung der Arbeiterklasse erweisen“, wenn er auf die Mitgliederzahl von fast zehn Millionen kommen wolle, die Solidarnosc vor ihrem Verbot gehabt habe, nämlich fast zehn Millionen. So war es denn auch kein Wunder, daß sich die Gewerkschafter bemühten, populäre Forderungen zu stellen, die sich auf die Mißstände in der Versorgung bezogen. Weil die Staatsführung aber wirklich starke, repräsentative Gewerkschaften braucht, um ein wirtschaftliches Reformprogramm durchführen zu können, birgt die Existenz von Solidarnosc weiterhin ein Risiko für das Regime. Deshalb auch gab es in der letzten Zeit Anzeichen dafür, daß das Regime den Dialog mit der Opposition sucht und als Entgegenkommen für deren Mitarbeit an dem Reformprogramm „gewerkschaftliche Pluralität in den Betrieben akzeptieren könnte.“ Regierungschef Messner drückte sich in diesem Zusammenhang auf dem Gewerkschaftskongress am Sonntag so aus: Weil die Überwindung der Wirtschaftskrise 1987 zu einer Neuregulierung der Preise führen müßte und die Subventionen in zahlreichen Wirtschaftssektoren abgeschafft werden, könne dies „zu einer drastischen Situation und zu großen sozialen Problemen führen, darunter den Abbau von Arbeitsplätzen.“ Und da nützt es auch wenig, wenn die offiziellen Gewerkschaften ihre Kritik einklagen. Der Regierungschef erkannte zwar die Forderungen an, doch angesichts der Ebbe in der Staatskasse könnten sie jedoch nur „in geringem Maße erfüllt werden.“ Das Gerangel um den Alleinvertretungsanspruch der offiziellen Gewerkschaften könnte bedeuten, daß die Auseinandersetzung über den künftigen Kurs der Regierung sich zugunsten der dialogbereiten Kräfte neigt. (siehe auch taz 28.11.) Die Untergrundführung von Solidarnosc hat den Gewerkschaftskongress am Wochenende ignoriert und stattdessen zu anderen Themen Stellung genommen. Sie forderte die Europäische Gemeinschaft auf, das Recht Polens auf bilaterale Beziehungen mit der EG aufrechtzuerhalten. Die Führung zeigte sich besorgt darüber, daß die EG Vorgespräche mit dem „Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe“ (Comecon) aufgenommen habe. Polen sollte über freie Kontakte zur EG verfügen und nicht über solche, die durch die UdSSR kontrolliert sind. er