Die schöne deutsche Autowelt der IG Metall

■ Symposium der Gewerkschaft zur Zukunft der Automobilindustrie / Neue Technologien sollen Arbeitsplätze sichern und die Arbeitswelt humanisieren / Weiterqualifikation kein Ersatz für Arbeitszeitverkürzung / Jenseits des Tellerrandes sucht auch die Gewerkschaft nicht die Zukunft des Automobils

Aus Wolfsburg Bettina Courant

Werden die führenden Automarken im Jahre 2000 auch hierzulande Toyota und Honda heißen oder - noch grauslicher - Hyundai und Daewoo? Mit deutscher Wertarbeit will sich die IG Metall der „asiatischen Gefahr“ in den Weg stellen, sie soll den Überholversuch der japanischen und südkoreanischen Autokonzerne vereiteln. Helferinnen in der Not sollen die neuen Technologien sein, auch darüber bestand Einigkeit auf dem Symposium zur „Zukunft der Automobilindustrie“, zu dem die IG Metall Wolfsburg in der vergangenen Woche 400 Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre aus allen bundesdeutschen Automobilfabriken eingeladen hatte. Im letzten Jahr erreichten die Japaner auf dem europäischen Automarkt bereits einen Marktanteil von 10,7 konnten sie ihn in den ersten neun Monaten dieses Jahres von 13,3 auf 15 noch nicht höher liegen, führte Ulrich Jürgens vom Wissenschaftszentrum Berlin allein darauf zurück, daß ihre Kapazitäten im Augenblick nicht einmal zur Befriedigung der nordamerikanischen Nachfrage ausreichen. So hätten die europäischen Autoproduzenten noch eine Atempause bis Anfang der 90er Jahre. Bis dahin können sich auch die bundesdeutschen Hersteller noch in ihren Rekordergebnissen sonnen: Mit 4,17 Millionen Fahrzeugen übertraf die PKW–Produktion 1985 erstmals die Vier–Millionen– Marke, und in den ersten neun Monaten dieses Jahres konnten nochmals 3 Zahl der Zulassungen in der Bundesrepublik stieg im selben Zeitraum um 16,3 nochmals um 5 IFO–Institut für Wirtschaftsforschung. Damit aber dürfte das Ende der Fahnenstange erreicht sein: Bis zum Jahr 2000 sei bei den Zulassungen eine Wachstumsrate von 1 der Weltmarkt ist weitgehend gesättigt; in den letzten zehn Jahren nahm er nur noch um 1,5 aber infolge der Rationalisierung der jährliche Produktivitätszuwachs zwischen 3 und 5 werden die Kapazitäten der Hersteller bereits 1990 weltweit die Nachfrage um fast 30 Trotz des dann ins Haus stehenden Verdrängungswettbewerbs war sich Walter Hiller, Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei VW, sicher: „Die Belegschaft braucht nicht verkleinert zu werden.“ Überkapazitäten werde es nur in Unternehmen geben, die „in der technologischen Entwicklung nicht mithalten und Produkte auf den Markt bringen, die nicht dem neuesten technischen Standard entsprechen“. Mit Hilfe der Technik, darin waren sich die Referenten des Symposiums einig, kann man den Wettbewerb bestehen und gleichzeitig mehr Mitbestimmung und humanere Arbeitsbedingungen durchsetzen. Hersteller aus Hochlohnländern könnten mit den Massenproduzenten aus Billiglohnländern nicht über den Preis konkurrieren, erklärte Wolfgang Streeck vom Wissenschaftszentrum Berlin, sondern müßten hochwertige Produkte liefern, die trotz hoher Stückzahl unterschiedliche Wünsche befriedigen können. Diese Strategie, die Merkmale der handwerklichen und der Massenproduktion verbinde, sei aber erst durch die hohe Flexibilität der neuen mikroelektronischen Technologie möglich geworden. Eine solche maßgeschneiderte Qualitätsproduktion erfordere jedoch eine Arbeitsorganisation, die sich schnell auf wechselnde Anforderungen und Marktbedingungen einstellen könne, meinte Streeck. Anstelle der traditionellen arbeitsteiligen Organisation sei eine Ausweitung der Tätig keiten des einzelnen Beschäftigten und eine Dezentralisierung der Entscheidungskompetenzen zugunsten von Arbeitsgruppen erforderlich. In der Teamorganisation sah auch Jürgens einen wesentlichen Baustein zum Erfolg der japanischen Autofabriken. Sie eröffne auch weitere Rationalisierungsmöglichkeiten, Arbeitspausen beispielsweise können eingelegt werden, ohne daß jemand einspringen muß. „Gruppenstrukturen tragen auch dazu bei, die Menschen im Betrieb zu motivieren und setzen somit Leistung, Kreativität und Produktivität frei“, ergänzte Karl Heinz Pitz vom IGM– Vorstand. Eine erstaunliche Übereinstimmung zwischen den Interessen von Gewerkschaften und Management - das stellte auch Streeck fest. Es bestehe jedoch kein Grund, warum „humanitäre und wirtschaftliche Ziele nicht auch einmal übereinstimmen sollten“. Und Pitz forderte, die Gewerkschaften müßten die Ausgestaltung der neuen Arbeitsformen „offensiv mitprägen“, damit sie nicht von den Arbeitgebern mißbraucht würden, um die Arbeitnehmer zu entsolidarisieren und die gewerkschaftliche Organisation zu untergraben. Dieser Ansatz der „sozialen Kontrolle der Produktivität“ sei freilich bislang „eher unterbelichtet“, räumte er ein. Eine flexible Technik ermöglicht nach Streecks Ansicht auch hohe Löhne und stabile Beschäftigung. Denn die für ihren Einsatz nötige hohe Qualifikation rechtfertige auch einen hohen Preis der Arbeit. Eine „Qualifikationsoffensive“ sei dringend erforderlich, folgerte Pitz: „Vor allem ein Lernprozeß in Gruppen ist umso wichtiger, als auf dem Hintergrund taylorisierter Arbeitszerstückelung kooperative und kommunikative Fähigkeiten weitgehend unterdrückt wurden.“ Die Qualifizierung müsse aber während der Arbeitszeit stattfinden und sei kein Ersatz für Arbeitszeitverkürzung. Jenseits des Tellerrandes suchte niemand die Zukunft der Automobilindustrie. Wo jeder siebte Arbeitsplatz vom Auto abhängig ist, schrumpfen auch die Gefahren, die vom Auto ausgehen, zu einer Gefahr für die Nachfrage. Umweltschutz tauchte nur in einem Zusammenhang auf: Emissionsarme Autos verkaufen sich besser. Buchrezession