Eine Stahlstadt kämpft ums Überleben

■ Die Stahlstadt Hattingen/Ruhr fürchtet um Arbeitsplätze und ihre Existenz / IGM–Vertrauensleute beschließen „Aktionsprogramm“ gegen Stillegung der Thyssen–Hütte / „Der Kampf wird länger dauern“

Von Petra Bornhöft

Hattingen (taz)– Gedrückte Stimmung im Saal bei den 350 Vertrauensleuten der Henrichshütte. Die Stahlkocher bangen um ihre Arbeitsplätze, seit die Pläne des Aufsichtsrates der Hütte bekannt wurden, die letzten beiden Hochöfen 1988 und 1990 stillzulegen. Redner beschreiben die düsteren Perspektiven der Stahlarbeiter und ihrer Stadt. Sie klagen an, appellieren, wollen ermutigen. „Fest an Eurer Seite“ steht der „Kollege Bürgermeister“ mit einer Resolution aus dem Rathaus. Viel Beifall erhält die Öko–Partei, obwohl die den größten Umweltverschmutzer am Ort noch nie so recht in ihr Herz zu schließen vermochte. Aber für das „Wohl und Wehe der Region“ im Bochumer Süden ma chen sich alle Kommunalpolitiker stark. Selbst die CDU bedankt sich für „die seltene Gelegenheit“, vor der Vertrauensleute–Vollversammlung der knapp 5.000 Beschäftigten sprechen zu dürfen. Ebenso einmütig wie die Parlamentarier fordern die Metaller vom Aufsichtsrat „ein Gesamtkonzept zur Sicherung des Stahlstandortes Hattingen“. Denn europäische Vereinbarungen zur Reduktion von Stahlkapazitäten, der Abbau von 3.500 Arbeitsplätzen auf der Henrichshütte in den letzten 12 Jahren sowie Äußerungen aus der Konzernspitze zur Stillegung der Hochöfen, lassen Rolf Bäcker, den Betriebsratsvorsitzenden, „Grausames“ befürchten. Denn nach Ansicht des Aufsichtsrates ist der Roheisentransport von Duisburg nach Hattin gen billiger als das Erschmelzen vor Ort. Entschieden werden soll noch vor dem Jahresende. Dringend erforderliche Investitionen für eine neue Stranggußanlage im Stahlwerk und für eine neue Presse in der Schmiede sind nicht in Sicht. Deshalb befürchten Betriebsrat und IG Metall, daß die Henrichshütte „schrittweise plattgemacht wird, erst die Hochöfen, dann das Stahlwerk und zuletzt der Rest“. Dafür spreche, so Otto König, erster Bevollmächtigter der IGM Hattingen, die hinhaltende Informationspolitik der Unternehmensleitung ebenso wie die erklärte Absicht von Thyssen, „die Eisen– und Stahlerzeugung auf die leistungsfähigsten und kostengünstigsten Anlagen an der Rheinschiene zu konzentrieren“. Und Hattingen mit seinen rund 60.000 Einwohnern liegt nun mal nicht am Rhein, sondern an der Ruhr. Es mangelt den Gewerkschaftern nicht an Vokabular für die Auswirkungen der drohenden „Kahlschlag–Sanierung“. Die Rede vom zukünftigen „Armenhaus der Region“ mit über 20 Prozent Arbeitslosigkeit macht deshalb wieder die Runde. „Unsere Kinder dürfen nicht zur Wohnwagengeneration verkommen“ ruft Rolf Bäcker in den Saal und erinnert an Siegener Stahlarbeiter, die täglich über 100 km nach Dortmund gekarrt werden. Das Motto der geplanten Aktionen, „Hattingen muß leben“, riefen schon 1983 12.000 Menschen während der größten Demonstration seit Kriegsende. Damals konnten sie nicht verhindern, daß eine Walzstraße stillgelegt wurde. Dennoch will die IG Metall an die „positiven Erfahrungen aus der breiten Mobilisierung anknüpfen“. Organisatorische Probleme hat die Gewerkschaft nicht. Wenige Minuten nach der Verabschiedung einer Resolution liegt das entsprechende Betriebsflugblatt vor. Die IGM wirds richten? „Nein, die Kollegen wissen“, versichert Gewerkschaftssekretär Hartmut Schulz, „daß sie selbst aktiv werden müssen in Betriebsversammlungen, Demonstrationen oder Bürgerkomitees“. Einige stehen schon in den Startlöchern. Ulrich Ferner, Hochofenarbeiter, forderte statt der geplanten kleinen Demonstration am 9. Dezember, „daß das ganze Ruhrgebiet zur Aufsichtsratssitzung fährt“. Otto König hält den Vorschlag für verfrüht, „denn unser heute begonnener Kampf dauert ein bißchen länger, Kollegen“.