Hamburger Kessel in Göttingen

■ 400 Leute in Jugendzentrum festgesetzt / Nach Auseinandersetzungen um besetzte Häuser soll die Autonomen–Szene „ausgetrocknet“ werden

Aus Göttingen Jürgen Trittin

Über vier Stunden hinweg hat die Polizei in Göttingen am vergangenen Montag abend 400 Personen im „Jugendzentrum Innenstadt“ festgesetzt, einzeln durchsucht, fotografiert und erst dann wieder freigelassen. Hintergrund der „Razzia mit Personalienfeststellung“ waren Auseinandersetzungen, die am Montag morgen mit der Räumung von drei besetzten Häusern begonnen hatten (die taz berichtete). Schon hierbei war es zu Knüppeleien, Einsätzen der Chemischen Keule und 33 Fesnahmen gekommen. Seitdem herrscht in Göttin gen der Ausnahmezustand - auf dem Weihnachtsmarkt patroullierende Polizisten in Kampfanzügen zwischen Glühwein trinkenden Passanten, überall in der Innenstadt stehen Mannschaftswagen. Die 400 Menschen hatten sich im „Jugendzentrum Innenstadt“ (JUZI) versammelt, um über Reaktionen auf die gewaltsame Räumung der Häuser zu beraten. Gegen 20.30 Uhr wurde das Haus von massiven Polizeikräften umstellt und dann gestürmt. Als erste Begründung für die Aktion wurde ein Durchsuchungsbeschluß wegen Verstoßes gegen das Fernmeldeanlagengesetz präsentiert. Kurz darauf wurde die Aktion - angeblich auf richterlichen Beschluß - zur Razzia erklärt. Alle 400 Anwesenden wurden festgesetzt und teilweise erst nach Absolvierung der sogenannten „kleinen ED–Behandlung“, wie sich ein Polizist ausdrückte, freigelassen. Vor dem Haus hatten sich derweil gut 300 Menschen versammelt, um gegen die Polizeiaktion zu protestieren. Sie wurden von einem starken Polizeiaufgebot auf die andere Straßenseite abgedrängt. Zutritt zu dem Haus erhielten zeitweilig weder Pressevertreter noch Anwälte oder Abgeordnete. Fortsetzung auf Seite 2 Erst nach massiven Interventionen beim Leiter der Göttinger Schutzpolizei, Will, war zumindest eine zeitweilige Anwesenheit neutraler Personen im Haus gestattet. Von dort Festgesetzten wurde berichtet, daß die Polizei gegen Einzelne, die sich der Personalienfeststellung entziehen wollten, teilweise mit massiver Gewalt vorgegangen worden sei. Eine Frau wurde verletzt ins Krankenhaus gefahren, sechs weitere Personen wurden wegen „Widerstandes“ vorläufig festgenommen. Mit den Räumungen und der Razzia wurden jene Maßnahmen umgesetzt, die die Landesregierung in einer Sitzung des Landtagsinnenausschusses am Mittwoch angekündigt hatte. Mit Hilfe von „Razzien“, verdeckten Ermittlern und massiver Präsenz soll die „politisch motivierte Kriminalität“ in Göttingen bekämpft, die „autonome Szene ausgetrocknet“ werden. Der Polizei wurde so unter dem beifälligen Nicken einer Großen Koalition freie Bahn si gnalisiert, Rache für die „Göttinger Scherbendemonstration“ vom vorletzten Wochenende zu nehmen. Der frischgewählte CDU–Generalsekretär Hartwig Fischer, Göttinger Landtagsabgeordneter, und schon in handgreifliche Auseinandersetzungen mit der „Szene“ verwickelt, forderte schon mehrfach vehement die Schließung des JUZI als einer „Zentrale des Verbrechens“.