Argentiniens sanfte Abrechnung

■ Mit dem Urteil gegen den „Schlächter von Buenos Aires“ will die Regierung einen Schlußstrich ziehen

Unruhe im Gerichtssaal registrierten Prozeßbeobachter, als Dienstag abend das Urteil gegen den berüchtigsten Folterer der argentinischen Militärdiktatur verkündet wurde. Zwar bekam General Camps 25 Jahre, braucht aber wegen Krankheit die Strafe nicht anzutreten. Dieser Prozeß war voraussichtlich der letzte große Prozeß gegen die Verantwortlichen der Militärdiktatur Der ehrwürdige Hauptsaal des riesigen Justizpalastes im Zentrum von Buenos Aires war bis auf den letzten Platz gefüllt, als der Vorsitzende Richter das Urteil verkündete: 25 Jahre Zuchthaus für General Ramon Camps wegen 73maliger Anwendung der Folter. Ein Raunen der Mißbilligung ging durch den Saal. Die Zuschauer schienen enttäuscht, daß das Gericht dem Begehren der Staatsanwälte auf lebenslängliche Haftstrafe nicht nachgekommen waren. Immerhin war Camps 1976–1977 als Polizeichef der Provinz Buenos Aires für die Folterung und das Verschwinden von 7.000 Personen verantwortlich. Der „Schlächter von Buenos Aires“ hatte zudem seine Untaten nie im geringsten bereut. Im Gegenteil. Für General Miguel Etchecolatz, die rechte Hand Camps, verkündete Bundesrichter Ledesma 23 Jahre Haft wegen 91 Folterdelikten, und Camps Nachfolger als Polizeipräsident, General Ovido Ricchieri, erhielt wegen 20 Folterdelikten 14 Jahre. Der Polizeiarzt Berges bekam als „Komplize ersten Grades“ für zwei nachgewiesene Fälle von Folter sechs Jahre, und ein Polizeibeamter der untersten Stufe, der Folterknecht Cozzani, für vier Fälle vier Jahre. Die Kommissare Vides und Rousse wurden trotz der Anklage wegen häufiger Anwendung der Folter und bewaffneten Raubes freigesprochen. Wie bereits vor einem Jahr beim „Gran Juicio“, dem Urteil gegen die Junta–Mitglieder der Militärdiktatur von 1976 bis 1983, verhinderte in vielen Fällen der Korpsgeist, daß die Verbrechen aufgeklärt werden konnten. So wurde beispielsweise kein einziger Mord nachgewiesen. Andere Verbrechen galten bereits als verjährt. Wie bisher schon Camps, der an weit fortgeschrittenem Darmkrebs leidet und im Militärkrankenhaus ist - er wird seine Strafe nicht mehr absitzen -, waren dieses Mal auch die restlichen sechs Angeklagten abwesend. Noch vor wenigen Wochen hatten sie sich in der Phase der Verteidigung stolz des Kampfes gegen die terroristische Subversion gerühmt und sich ansonsten auf die Gehorsamspflicht berufen. In der viereinhalbstündigen Urteilsbegründung kritisierten die Richter den „arroganten Messianismus“ und stellten fest, daß auch der „linke Terrorismus staatliche Verbrechen nicht legitimiere“. Nicht die Zivilisation, sondern die Gewalt habe damals triumphiert. Gerade in Hinblick auf die noch anstehenden Prozesse gegen untergeordnete Folterknechte der Diktatur waren die ausführlichen Klarstellungen über das Prinzip der Gehorsamspflicht äußerst wichtig. Gehorsamspflicht gelte nur - so Ledesma - in den Grenzen des Gesetzes. „Der Mensch ist frei und verantwortlich für sein Tun - auch in einer staatlichen Behörde. Er ist kein blindes Instrument. Wer illegale Befehle zu so schrecklichen Taten wie Folter und Mord ausführt, handelt selbst illegal.“ Mit der Urteilsverkündung ging schon nach elf Wochen die öffentliche Phase des Prozesses gegen eine der unmenschlichsten Figuren der Militärdiktatur und seine unmittelbaren Helfer zu ende. In der Camps unterstellten Sicherheitszone 1 lagen sieben der berüchtigten „heimlichen Folterzentren“. Obwohl Camps und seine Einheit für das „Verschwinden“ von insgesamt 7.000 Personen verantwortlich sind, beschränkten sich die Staatsanwälte Strassera und Ocampo bei der Beweisaufnahme auf 280 Fälle. In bewegenden Zeugenaussagen wurde von den Morden an den Politikern Karakacho und Terrugi berichtet, deren Leichen gefunden wurden; von den Entführungen von Schülern in La Plata - ein Fall, der unter dem Namen „Nacht der Bleistifte“ bekannt wurde - von Kindesentführungen, die die Präsidentin der „Abuelas“ (Großmütter), Maria Chorobile Mariani, Camps direkt anlastet. Strassera und Ocampo hatten in ihrem neunstündigen, moralisch rigorosen, juristisch fundierten und rhetorisch brillanten Plädoyer gefordert, daß die Verjährungsfrist erst ab Ende 1983 beginnen dürfe, da diese Delikte erst in der verfassungsmäßigen Etappe der Demokratie angezeigt werden konnten. Dies wurde in der Urteilsbegründung abgelehnt - eine Entscheidung, die schon bei dem nächsten Prozeß gegen 28 Militärs, ebenfalls aus der Sicherheitszone 1, der noch in dieser Woche eingeleitet wird, von großer Bedeutung sein kann, denn gerade die im Jahre 1976 häufige Anwendung von Folter ist dann verjährt.