Palästinensische Einheit - Hoffnungsschimmer für die umkämpften Lager im Libanon

■ Gefechte zwischen den Palästinensern und der schiitischen Amal–Miliz fordern weitere Opfer / Arabische Verhandlungen in Damaskus verliefen ergebnislos

Aus Beirut Joseph Kaz

„Seit fünf Tagen haben sich die militärischen Positionen nicht verändert - wir sind fest entschloßen, bis zum Ende durchzuhalten, uns fehlt es an nichts, um den Widerstand monatelang aufrecht zu halten, nur Trinkwasser wird knapp,“ beschrieb ein Angehöriger der Palästinenserorganisation „El Fateh“ am Wochenanfang die Situation im Flüchtlingslager Chatila am südlichen Rand der libanesischen Hauptstadt Beirut. Eine erstaunlicherweise funktionierende Telefonleitung und die den militärischen Mitteilungen vorbehaltenen Funkverbindungen sind seit einer guten Woche die letzte Möglichkeit, mit den Menschen innerhalb des Rest– Camps zu sprechen. Mit täglich neuen Offensiv–Wellen hat die Schiiten–Bewegung Amal, offensichtlich unterstützt von der hauptsächlich aus der schiitischen Bevölkerungsschicht des Landes rekrutierten sechsten Brigade der „regulären“ libanesischen Armee, die seit Ende September tobende fünfte Runde der „Lagerkriege“ auf Chatila ausgedehnt. Der harte Kern: Chatila Der weitaus größte Teil des Lagers wurde schon bei den Kämpfen 1985 zerstört, nur rund um die Moschee bauten die Bewohner wieder auf. Seit Mittwoch vergangener Woche aber, seit Amal das Lager unter massiven Beschuß schwerer Artillerie genommen hat, wurde aus diesem letzten „harten Kern“ ein einziges Trümmerfeld, in dem seit letzter Woche mehr als 30 Menschen ihr Leben gelassen haben. Die medizinische Versorgung der ca. 50 Verletzten sei gewährleistet, lauten die Nachrichten aus Chatila. Das Feldkrankenhaus des Palästinensischen Roten Halbmondes, der dem Roten Kreuz entsprechenden Hilfsorganisation, war auf erneute Auseinandersetzungen eingerichtet, es waren längst Vorräte an Medikamenten und Verbandsmaterial eingerichtet worden, ein gut ausgerüsteter Operationsraum wurde in einer unterirdischen Etage eingerichtet. Wie viele Familien und Kämpfer tatsächlich in Chatila aushalten von den ca. 4.000 Menschen, die noch im Sommmer im Lager lebten, läßt sich von außen nicht mehr sagen, denn abgesehen von den permanenten Gefechten halten auch die Milizionäre der Amal die wenigen im Libanon verbliebenen Journalisten von der Berichterstattung zum Thema Lagerkrieg ab. „Amal konnte die Schlappe von Maghdoucheh nicht einstecken,“ behauptet ein libanesischer Journalist, „deshalb ziehen sie es auch vor, daß überhaupt nichts in die Medien kommt.“ Während die schiitische Sammelbewegung unter Führung des für Justiz und den Südlibanon zuständigen Ministers Nabih Berri sich offensichtlich vom Zermürbungskrieg die Einnahme des winzigen Lagers Chatila erhofft, schon vor dem zweiten Beiruter Palästinensercamp Bourj–el– Brajne mit seinen mehr als 10.000 Einwohnern aber wie vor einer Festung steht, mußte im Südlibanon, an der zweiten Front zwischen Palästinensern und libanesischen Schiiten allerdings ein herber Verlust verzeichnet wer den: vielleicht hatte die Schiitenmiliz nicht mit der Gegenoffensive der Feddayin gerechnet, auf jeden Fall war Amal den Palästinensern militärisch nicht gewachsen. Im Handstreich konnten die von PLO–Chef Arafat wieder aufgerüsteten Kämpfer das Christendorf Maghdoucheh, wenige Kilometer oberhalb der Hafenstadt Saida, erobern. Von dort aus kann man nicht nur die beiden Flüchtlingslager Mieh–Mieh und Ain–el– Helwue kontrollieren, sondern auch die Verbindungstraße zwischen Beirut und dem Südlibanon, die entlang der Mittelmeerküste verläuft. Keine Kompromisse beim Kampf um Maghdoucheh Amal mobilisierte also alle zur Verfügung stehenden Kräfte, sogar Truppen aus der ostlibanesischen Beqaa–Ebene wurden zusammengezogen, den Palästinensern diese Trumpfkarte wieder abzunehmen. Bis zum vergangenen Wochenende, so billanzierte die libanesische Polizei, haben die Auseinandersetzungen um das Dorf mehr als hundert Tote und zweihundert Verletzte gefordert. Am Mittwochabend hieß es, in Maghdoucheh werde weiterhin mit unverminderter Härte, Straße für Straße, Haus für Haus, gekämpft. Den Palästinensern sei es gelungen, die Nachschubwege der Schiitenmiliz abzuschneiden. Die Nachrichten aus der noch weiter südlich gelegenen Hafenstadt Sour sprechen von wahren Verfolgungsjagden gegen palästinensische Zivilisten, die sich außerhalb der Camps bewegen. In den Lagern geht es den Leuten freilich nicht viel besser, hier sind sie nur nicht der individuellen Verfolgung ausgesetzt. Das älteste und südlichste aller Camps in Libanon, Rashediyeh, schon auf Sichtweite zum israelischen Mittelmeerstrand, wird seit dem 30. September von Amal belagert. Am vergangenen Wochenende wurden zum ersten Mal seit zwei Monaten Lieferungen von Lebensmitteln und Medikamenten in das Lager zugelassen. „Eines Abends kamen die Milizionäre von Amal“ Die dramatischen Hilferufe der verschiedenen internationalen Hilfsorganisationen reißen dennoch nicht ab: Diese eine Lieferung bedeutet für die in Rashediyeh eingeschlossenen ca. 11.000 Menschen nicht mehr als der berüchtigte Tropfen auf den heißen Stein. Die 40jährige Amira nutzte einen kurzfristigen Waffenstillstand Anfang Oktober, sich mit drei ihrer sieben Kinder querfeldein aus Rashediyeh zu stehlen und zum Rest ihrer Familie zu gelangen, von der sie seit der Umzingelung des Lagers getrennt war. Zuflucht fand sie im Haus ihrer Schwester, in einem Vorort von Sour. Doch auch dort konnte sie nicht bleiben. „Eines Abends kamen Leute von Amal, schoßen durch die Wohnungstür und bedrohten die ganze Familie mit Messern“, berichtet sie. „Wir sollten zu den Sunniten nach Saida gehen, sagten sie uns. Zusammen mit dreißig anderen Flüchtlingen aus der Gegend von Sour hocken sie nun in einer Schule des UN– Hilfswerks für Flüchtlinge aus Palästina (UNRWA). Der Raum mißt sechs mal sechs Meter. An der Wand hängt noch die Karte mit dem Alphabeth, die Schulbänke wurden in die Ecke gerückt, um Platz zu schaffen. Matratzen und Decken liegen auf dem Fußboden ausgebreitet. Eine andere Frau, die hier Zuflucht gefunden hat, stammt aus Bourj Shemali, einem anderen Vorort von Sour. „Ich habe nicht direkt im Flüchtlingslager gelebt“, erzählt sie,“sondern nur in der Nähe. Eines Tages, als wir wegen der heftigen Gefechte Schutz in einem Unterstand suchten, kamen Milizionäre von Amal und drohten, den Schutzraum zu sprengen, falls wir nicht sofort aus der Gegend verschwänden.“ Vertreibung, Meilenstein palästinensischer Geschichte Unbestätigte Angaben - es gibt aber auch keine Institution, die das bestätigen könnte - beziffern die Verhaftungen palästinensischer Männer im Raum Sour für den vergangenen Monat auf über 2.000. Wo sie geblieben sind bleibt unklar, allein schaurige Leichenfunde am Rand einer Straße, am Rand eines Dorfes, verheißen nichts Gutes. Natürlich läßt sich wegen der kriegerischen Situation im gesamten Südlibanon kaum ein Verhaftungsvorgang rekonstruieren, keine verläßliche Angabe über die Täter machen. Das allerdings trägt im wesentlichen dazu bei, daß die Panik bei der palästinensischen Bevölkerung stetig zunimmt. Schlagworte palästinensischer Geschichte gehen um und erinnern an den „Schwarzen September“ des Jahres 1970, als der jordanische König Hussein seine Armee wüten ließ und die Palästinenser vor regelrechten Pogromen aus Jordanien fliehen mußten. Oder von Tel–Zaatar, einem der größten Flüchtlingslager im Libanon, das 1976 von Milizen der christlichen Ostbeiruter Phalange mit syrischer Unterstützung ausgehungert und dem Erdboden gleichgemacht wurde. Zwei kleinere Lager, Gim–Gim und Abul–Assuad, beide südlich von Saida, wurden in der vergangenen Woche quasi aufgelöst. Die Bewohner mußten sich entweder in die größeren Camps oder nach Saida zurückziehen. Kommuniques der Palästinenser besagen, daß beide Siedlungen mittlerweile unbewohnbar gemacht und niedergebrannt wurden. Auslöschen der Palästinenser steht nicht an Die „Auslöschung des palästinensischen Volkes im Libanon“, wie der libysche Revolutionsführer Gaddhafi es den libanesischen Schiiten letzte Woche unterstellte, steht allerdings nicht bevor. Schließlich leben immerhin ca. 350.000 Palästina–Flüchtlinge in Libanon, die zudem mehrheitlich mit Waffen umgehen können. Und die Palästinenser sind fest davon überzeugt, daß es bei den jetzigen Kämpfen um ihre Identität als bewaffnete Befreiungsbewegung geht, daß sie ihr lang erkämpftes Recht auf politische Selbstbestimmung behaupten müssen. Amal– Chef Nabih Berri fordert denn auch, daß die Palästinenser sich dem politischen Diktat libanesischer Kräfte unterwerfen, daß die bewaffneten Einheiten der PLO in kontrollierbaren Einheiten organisiert werden, just so, wie es in allen anderen arabischen Staaten auch der Fall ist. (siehe Berri–Gespräch in der taz vom 18.11) Daß damit die militärische Option der Organisation, wenigstens außerhalb der von Israel „Besetzten Gebiete“ zur Bedeutungslosigkeit verkäme, just so, wie es in allen anderen arabischen Staaten der Fall ist, haben mittlerweile auch die PLO–internen Gegner Arafats erkannt. Nicht nur in den Lagern im Libanon kämpfen die seit 1983 bis aufs Blut verfeindeten Guerilla–Gruppen wieder Seite an Seite. Bei verschiedenen Treffen zwischen Arafat–Vertrauten und Emissären der gewichtigsten aller Arafat–Gegner, der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) des George Habbash, scheinen sich zumindest wieder Ebenen gemeinsamer Gespräche eingestellt zu haben. Wohlweislich finden die Wiederannäherungen der palästinensischen Fraktionen in sozialistischen Ländern, in Prag, Moskau oder Algier statt. George Habbash selbst hat Damaskus verlassen, sich außer Reichweite des syrischen Regimes begeben. Schließlich, so schätzen nicht nur Palästinenser, könnte der syrische Staatschef Assad, selbst wenn er wollte, allen Schritten, die die PLO stärken könnten, nicht untätig zusehen, denn der zweite Kriegsherr im Libanon bleibt Nabih Berri, der mit Syriens Gnaden die PLO bekämpft. Am vergangenen Wochenende konnte man also Abu Jihad, Militärchef Arafats, und PFLP–Chef George Habbash Seite an Seite in der algerischen Öffentlichkeit sehen. George Habbash rief von Algier aus im Namen der PLO zur „Nationalen Einheit der Palästinenser“ auf. Kein Appell, den Habbash nicht auch von Damaskus aus in den vergangenen zwei Jahren hätte lancieren können. Jedoch nicht an der Seite des Arafat– Vertrauten, der 1983 gemeinsam mit dem PLO–Chef unsanft aus der syrischen Hauptstadt vertrieben worden war. Dieser erneute Versuch, den selbstzerstörischen Konflikt innerhalb der PLO zu begraben, dürfte wohl einer der entscheidenden Gründe sein, der selbst aus den Stimmen im belagerten Chatila Zuversicht klingen läßt. Politische Lösung vorerst nicht in Sicht Über den Ausgang des kriegerischen Treibens läßt sich vorerst nur spekulieren. Offensichtlich sind die Karten noch nicht ausgereizt, die derzeit in der syrischen Hauptstadt Damaskus über den Verhandlungstisch der Poltiker geschoben werden. Dort haben sich in bislang unergiebigen Runden Vertreter Syriens, Irans, Libanons und Libyens versammelt und den beiden kriegsführenden Parteien verschiedene Modelle von Truppenentflechtung sowie des möglichen zukünftigen Status der Palästinenser in Libanon vorgeschlagen. Amal wie auch die Palästinenser haben diese Vorstellungen bislang abgelehnt und verlassen sich vorerst auf ihre militärischen Potentiale in den und um die umkämpften Lager herum. Die französischsprachige libanesische Tageszeitung LOrient Le Jour war ganz offensichtlich etwas voreilig, als sie schon am vergangenen Wochenende den „Totalen Krieg um die Lager“ herbeititelte.