Schüren Agrarexporte Hunger?

■ Eine Publikation des Bielefelder Dritte–Welt–Hauses bringt neuen Schwung in alten Streit BUCHREZESSION

„Mit analytischen Unterscheidungen und Einschränkungen ist nur schwer Politik zu machen“ - darin vermutet das Bielefelder Dritte Welt Haus den Grund für die bisherige Schwarzweißmalerei bei einem Thema, das die Emotionen der entwicklungspolitischen Öffentlichkeit stets hochpeitscht: „Agrarexporte sind gut für Entwicklungsländer“ versus „ Agrarexporte schüren den Hunger in Entwicklungsländern“. Man muß hinzufügen, daß sich mit allzu differenzierter Betrachtungsweise in Veröffentlichungen auch schwer Geschäfte machen lassen. Gefragt sind auf dem Markt für Gedrucktes Traktate mit knalligen Thesen und deren Beweis. Insofern dürfte der Absatz der neuen Broschüre des Hauses mit dem unparteiischen Titel „Hunger durch Agrarexporte? - Afrikas Landwirtschaft zwischen Selbstversorgung und Exportproduktion“ etwas gehandicapt sein. Die Broschüre der Bielefelder wird indes beiden Ansprüchen gerecht. Sie bemüht sich um eine äußerst differenzierte Betrachtungsweise und sie bestätigt im Ergebnis eindeutig die Auffassung, daß die Ausweitung der Agrarexporte der Hungerländer Schwarzafrikas durchaus deren Nahrungsmittel– Selbstversorgung beeinträchtigt. Der Streit ist Jahrzehnte alt. Keine Frage, harte politökonomische Interessen sind berührt. Die ehemaligen Kolonialmächte haben es geschafft, durch die Anlage von Agrarexportkulturen die Dritte Welt in Abhängigkeit und sich billige Agrarrohstoffquellen zu halten. Gleichzeitig wird nicht nur von weltmarktorientierten Entwicklungsexperten und -politikern hierzulande sondern auch von einer Technokratenschicht in den Entwicklungsländern selbst die Notwendigkeit zu Agrarexporten behauptet - insgeheim vor allem zu ihrem eigenen Nutzen. Die bisherigen Kritiker des exportorientierten Entwicklungsweges haben sich jedoch vor allem auf sehr theoretischer (Senghaas) oder auf äußerst populärer Ebene mit wenig Tiefgang (Lappe/Collins) bewegt. Das Dritte–Welt–Haus vollzieht hier einen neuen Ansatz - freilich noch recht bescheiden auf 60 DINA4–Seiten. Die Autoren gehen mitten hinein in die wissenschaftliche Arbeit der Entwicklungsforscher, die einen ökonomischen Nutzen von Agrarexporten aus Hungerländern nachweisen wollen, die die Deviseneinnahmen höher bewerten als die Selbstversorgung der Landbewohner. Wie schon in ihrer letzten einschlägigen Publikation (“Die Hungernden sind die Nahrung der Macht“, 1985) untersuchen sie das Tabellen– sowie Datenmaterial von Prof. v. Blanckenburg oder v. Alvensleben und überführen sie des Etiketten–Schwindels - wie auch die Bundesregierung, deren jetziger Entwicklungsminister Warnke mehr auf den Weltmarkt setzt als alle seine Vorgänger. In eigenen Berechnungen weisen sie darüberhinaus nach, daß z.B. der Tomatenexport aus Marokko auch dann volkswirtschaftlich schädlich ist, wenn die Tonne Tomaten das mehrfache an Devisen einbringt als die Tonne Weizen kostet, die dafür auf dem Weltmarkt erstanden werden kann - ganz abgesehen von den Auswirkungen für die einzelnen Bauern. Leider springt bei diesem Tiefgang bisweilen die wissenschaftliche Sprache durch, die es dem Laien ab und zu schwer macht. Und der Umfang der Broschüre gestattet auch nur eine sehr begrenzte Zahl von Fall–Beispielen. Insgesamt ist die Broschüre jedoch jedem zu empfehlen, der in diesem alten Grundsatzstreit der Entwicklungspolitik mal wieder was neues lesen will. Hunger durch Agrarexporte? - Afrikas Landwirtschaft zwischen Selbstversorgung und Exportproduktion, Bielefeld 1986, 60 S. DINA4, 6,–DM; Bezug: Dritte Welt Haus, August Bebel Str. 62, 4800 Bielefel 1 Ulli Kulke