Studentische Jung–Manager proben den Aufstand

■ Am Vorabend der Pariser Großdemo trafen sich 800 Delegierte zur „Nationalen Koordination“ / Ansteckende Faszination der frischen Studentendemokratie / Jenseits des tagesaktuellen Protestes scheiden sich die aufständischen Geister

Aus Paris Georg Blume

Um den Hörsaal 34b der Pariser Jussieu–Universität herrscht fiebrige Stimmung in der kalten Herbstluft. Am Vorabend der Großdemonstration am Donnerstag tritt hier die „Nationale Koordination“ der neuen französischen Studentenbewegung zusammen. Über 800 Delegierte der Universitäten des ganzen Landes sind versammelt. „Die Entscheidungen, die die Vollversammlungen treffen, werden für die Mehrheit der Studenten repräsentativ sein“, würdigt selbst Le Monde die junge Studentendemokratie. Keine zwei Wochen ist sie alt, diese Demokratie, vor zehn Tagen erst beratschlagte die „Nationale Koordination“, ihr höchstes Parlament, zum ersten Mal und beschloß die Revolte. „Fortsetzung des Generalsstreiks bis zur Rücknahme des Devaquet–Projekts“ forderte vorgestern abend der Leitantrag von Jussieu. Hochschulminister Devaquet ist der Urheber der Gesetzesvorlage zur Universitätsreform, die Studentenselektion und Eliteschulbildung fördern soll. Der Delegierte von Paris–Creteil erhebt Einspruch gegen den Leitantrag der Vollversammlung: „Wir haben den Streik nur bis zur Demo festgelegt. Darüber hinaus kann ich nicht stimmen.“ Ohne Diskussion wird der Leitantrag abgeändert, er empfiehlt jetzt den Generalstreik dort, „wo es möglich ist.“ Paris–Creteil stimmt mit - so glatt funktioniert die Studentendemokratie mit dem imperativen, ständig widerrufbaren Mandat. Es zwingt zur Suche nach Konsens und schützt vor der Verselbständigung der Gremien. Zehn Sprecher der Bewegung werden in Jussieu gewählt. Sie dürfen beim Treffen mit der Regierung zuhören. Das Devaquet– Projekt darf aber nicht Gegenstand von Verhandlungen werden. Die Diskussion geht weiter. Alles dreht sich um die Demonstration am Donnerstag. In Paris werden auf dem Platz vor dem Invalidendom mindestens 300.000 Menschen erwartet. Unklar bleiben jedoch die Perspektiven der Bewegung nach der Demo. Die Gesetzesvorlage ruht im Parlamentsausschuß, und die Regierung hat Zeit. Mit Weihnachten naht eine ruhige Phase. Die Oberschüler, die die Revolte im gleichen Maße wie die Studenten trugen, brachen bereits am Montag den Streik ab und haben lediglich die täglichen Vollversammlungen beibehalten. Klassenarbeiten und Studienprüfun gen drücken auf beiden Seiten. Neben der Fortführung des Streiks steht die inhaltliche Ausrichtung der Bewegung, ihre Radikalisierung zur Debatte. In Jussieu kündigten sich die ersten Kon troversen an. „Die Universität ist kein Privatunternehmen. Wir werden uns nicht der Konkurrenz unterwerfen. Gegen die Privatisierung der Universitäten, gegen die liberale Logik, in diese Richtung geht unser Protest.“ Isabelle Thomas von der Pariser Vorstadt– Uni Villetaneuse erntet viel Applaus. „Wenn wir gegen die Selektion der Abiturienten vor dem Studium kämpfen, dann müssen wir uns auch gegen die Selektion der Ausländer wehren, die Pasqua (der französische Innenminister, d.R.) in Massen ausweist,“ fordert ein anderer Delegierter. Es steht wohl außer Zweifel, daß hier der Großteil der Bewegung nicht mehr mitzieht. Trotzdem ist deshalb die Revolte nicht tot. Über die Kritik am Devaquet– Projekt hinaus vereint Schüler und Studenten die neu entdeckte „direkte Demokratie“. Am Samstag berät die „Nationale Koordination“ über die Zukunft der Aktionen. Die Regierung wird den Ausgang der Demo abwarten. Noch haben Chirac und Devaquet nicht gewonnen. „Le Monde“ hat sie gewarnt: „Schüler–, Eltern– und Studentenstreiks stören in keiner Weise die Geschäftigkeit im Land. Aber sie können die Moral und die Autorität der Regierung in entscheidendem Maße erschüttern.“