Surinams Regime kämpft ums Überleben

■ In der ehemaligen niederländischen Karibik–Kolonie werden die Militärs, die einst antraten, um das Land aus der neokolonialen Umarmung zu befreien, von einer Guerilla bedrängt / Ein Krieg mit vielen Dimensionen

Von Thomas Schmid

Berlin (taz) -Die Guerilla stand vor der Hauptstadt, der Militärdiktator rief den Ausnahmezustand aus, und der künftige Machthaber, Ex–Präsident Chin–A–Sen, hatte sich angeblich schon ins Land geschlichen. Zu Beginn der Woche schienen die Tage des Regimes im südamerikanischen Karibikstaat Surinam gezählt. Hunderte von Indianern sind ins benachbarte Französisch–Guayana geflüchtet. Augenzeugen berichteten von Übergriffen der Guerilla. Die Grenzstadt Albina wurde bereits evakuiert. Doch gestern haben Regierungstruppen Mungo, die Bauxit–Stadt im Osten des Landes, wo 80 Prozent der Devisen des Landes erwirtschaftet werden und die über zwei Wochen von Guerilleros umzingelt und schließlich besetzt worden war, offenbar zurückerobert. Augenzeugen berichten von Grausamkeiten der Regierungstruppen. Das Blatt scheint sich zu wenden. „Dede Kondre“, Totenland, nannten die 350.000 Sklaven, die im 17. und 18. Jahrhundert ins mörderische Tropenklima verschleppt wurden, das Gebiet. Viele entzogen sich den niederländischen Kolonialherren und flohen wie zuvor schon die Indianer ins Landesinnere. Die „Buschneger“, wie sie in der ethnologischen Forschung genannt werden, stellen heute vielleicht noch 15 Prozent der Bevölkerung dar. Einer von ihnen macht gegenwärtig Geschichte: der 25jährige Guerillaführer Ronnie Brunswijk, ehemals Leibwächter von Desi Bouterse, der - noch - die Geschicke des Landes leitet. Zumindest bei den Schwarzen und vermutlich auch bei vielen Indern (30 % der Bevölkerung), die nach der Abschaffung der Sklaverei 1863 zu Zehntausenden als billige Kontraktarbeiter ins Land geholt wurden, kann Brunswijks Guerilla auf Unterstützung zählen - und auch bei der früheren Kolonialmacht Niederlande, wo sich heute mehr als ein Drittel aller Surinamer aufhalten. Dabei hatte Holland, das Surinam 1975 in die Unabhängigkeit entließ, seine Wirtschaftshilfe von jährlich 100 Millionen Dollar nicht eingestellt, als Bouterse 1980 das korrupte Regime von Henk Arron mit einigen hundert Soldaten von der Macht putschte. Doch als die neuen Machthaber sich anschickten, einen nationalistischen Weg einzuschlagen, der das Land aus der neokolonialen Umarmung befreien sollte, und intensive diplomatische Beziehungen zu Kuba, Nicaragua und zum damaligen Revolutionsregime auf der Karibikinsel Grenada entwickelten, sorgte man sich in Washington und Amsterdam um die Zukunft der Ex–Kolonie. Im Dezember 1982 ließ Bouterse 15 Oppositionelle „auf der Flucht erschießen“. Für die Niederlande, die bislang für den Staatshaushalt faktisch aufgekommen waren, war es ein willkommener Anlaß, ihre Kredite zu sperren, die USA zogen nach. Die Devisenreserven sanken in zwei Jahren auf ein Sechstel. Um die Gefahr eines wirtschaftlichen Kollapses zu bannen, verfügte Bouterse eine strikte Importkontrolle und handelte sich damit die Unzufriedenheit der Kleinindustrie und des Handels ein. Als die Militärs zunehmend ihre Felle davonschwimmen sahen, griffen sie wieder auf die alten traditionellen Parteien zurück, die schon immer die Vorherrschaft der Kreolen (Mulatten, 30% der Bevölkerung) und der Indonesier (15%) repräsentiert hatten. So sind seit diesem Sommer an der Regierung des Landes, neben den Militärs nun auch die Parteien, Gewerkschaften und Privatunternehmer beteiligt. Im April soll der „Demokratisierungsprozeß“ mit der Verabschiedung einer neuen Verfassung abgeschlossen werden. Diesem politischen Fahrplan könnte nun die Guerilla Brunswijks einen Strich durch die Rechnung machen. Zu Wort gemeldet hatte sie sich zum ersten Mal im Juli mit einem spektakulären Angriff auf zwei Militärlager an der Grenze zu Französisch–Guayana. Anfang September griff sie die Grenzstadt Albina an, und im November eroberte sie schließlich das Bauxitzentrum Mungo und traf damit den Lebensnerv der surinamischen Wirtschaft. Schon war vom „Marsch auf Paramaribo“, von der Einnahme der Hauptstadt, die Rede, als nun Bouterse zurückschlug. Neueste Meldungen berichten von zahlreichen Opfern unter den Guerilleros. Über Surinam wurde eine Ausgangssperre verhängt. Am Dienstag bekam Bouterse von unerwarteter Seite Hilfe. Fred Derby, Führer der mächtigen Bauxitarbeitergewerkschaft, der einzigen regierungsunabhängigen Gewerkschaft, warnte vor der Guerilla, an der sich auch britische und niederländische Söldner beteiligen. Ihr Sieg, prophezeite er, werde nicht die Probleme des Landes lösen, sondern nur die korrupten Zustände vor Bouterses Machtübernahme wiederherstellen.