Gasaktien für den Gabentisch

■ Die britische Regierung privatisiert das Gasversorgungsunternehmen / Der größte (Aus)Verkauf aller Zeiten / Konservatives Wachstumsprogramm für Kleinaktionäre funktioniert / Fabelhaftes Weihnachtsgeschäft für den Börsenhandel

„Erzähl Sid davon“. Über die Einwohner der britischen Inseln geht in diesen Tagen nicht nur der spätherbstliche Nieselregen, sondern auch eine allgegenwärtige Anzeigenkampagne nieder. Mit Werbeplakaten und Fernsehspots wird den Briten eingetrichtert, jenem imaginären Nachbarn mit dem Namen Sid von der Privatisierung der „British Gas Corporation“ zu erzählen. Sid muß wirklich der letzte Inselbewohner sein, der vom „Aktienverkauf des Jahrhunderts“ noch nichts mitbekommen hat. Nachdem im September die Rückführung der „Trustee Savings Bank“ in private Hände den Neuaktionären wieder einen dicken Ruck–Zuck–Profit einbrachte, ist es der Regierung Thatcher auch bei „British Gas“ gelungen, das Aktienfieber in der Bevölkerung hochzutreiben. Den 16 Millionen Gaskunden des größten Energieversorgungsunternehmens Europas wurden Vorzugsaktien angeboten; und wer sein Aktienpaket für mindestens drei Jahre behält, dem verspricht der Prospekt Gutscheine, die bei den nächsten Gasrechnungen eingelöst werden können. Anlageberater haben fürs erste Jahr bereits eine steuerfreie Rendite von über 20 Prozent berechnet, Grund genug für rund fünf Millionen Möchtegern–Aktionäre, ihre Sparstrümpfe und Bankkonten zu plündern und die Bewerbungsunterlagen für die Gasaktien loszuschicken. Ob es die Labour Partei wahrhaben will oder nicht, Maggies gesponsorter Volkskapitalismus feiert zu Weihnachten neue Triumphe. Viele, so hat eine Umfrage ergeben, erstehen die Gasaktien für den Gabentisch. Das Privatisierungsprogramm ist ohne Zweifel der größte Renner der konservativen Regierung, ein geniales Modell zur Manipulation der Bevölkerung bei gleichzeitig versteckter Umverteilung des Reichtums. Dem Volk wird verkauft, was ihm ohnehin schon gehörte, die Börsenprofis machen einen Riesenreibach, und die neuen Volksaktionäre haben bei der nächsten Wahl einen Grund mehr, die Tories wiederzuwählen. Die Labour Partei, so besagt nämlich eine kleingedruckte „Wealth Warning“ im Verkaufsprospekt, werde bei ihrer versprochenen Re–Verstaatlichung des Unternehmens, den Aktionären womöglich nur den Verkaufspreis wiedererstatten. Die Börseneinführung von „British Gas“ ist der absolute Höhepunkt einer Privatisierungsserie, die 1979 mit „British Petroleum“ begann, sich über staatliche Ölindustrien, Häfen, das Telefonsystem und in diesem Jahr die TSB–Bank fortsetzte. Ingesamt wurden in den letzten sieben Jahren 13 Staatsbetriebe mit über 400.000 Arbeitnehmern privatisiert, was dem Schatzkanzler willkommene acht Milliarden Pfund (rund 24 Mrd. DM) ins Staatssäckel brachten. Im nächsten Jahr werden „British Airways“, „Rolls Royce“ und die Flughäfen folgen. „Nichts ist heilig“, hatte schon vor drei Jahren der damalige Staatssekretär im Schatzkanzleramt und jetzige Verkehrsminister, John Moore, erklärt. Und Frau Thatcher listete in einem Interview mit der Financial Times in der letzten Woche schon die nächsten Kandidaten auf: die Kohle– und Stahlindustrie. In den beiden kommenden Jahren sollen durch weitere Entstaatlichungen noch einmal jeweils fünf Milliarden Pfund in die Staatkasse fließen. Bis Ende 87 wird der Staatsektor um zwei Fünftel geschrumpft sein. Neben den Gewerkschaftsgesetzen, so der Kolumnist des New Statesman, Peter Kellner, stelle das Privatisierungsprogramm der Regierung Thatcher „die einschneidendste Veränderung der politischen Landschaft Großbritanniens dar“. Doch während sich die Regierung über die Verwendung der zusätzlichen Einnahmen in Form von Steuergeschenken vor den nächsten Wahlen Gedanken macht, stellen die Kritiker der Privatisierungswelle ganz andere Rechnungen an. Die Verwandlung der staatlichen in private Monopole führe nicht, wie versprochen, zu mehr Wettbewerb und höherer Leistungsfähigkeit, sondern koste den Steuerzahler nur einen Haufen Geld. Nach der anfänglichen Privatisierungspleite mit „Britoil“ ist die Regierung nämlich aus Sicherheitsgründen dazu übergegangen, den Ausgabekurs der Aktien möglichst niedrig anzusetzen. Das Ziel einer breiten Streuung der Aktien widerspricht dem Bestreben, einen angemessenen Preis zu erzielen. Diese Politik, die den Aktionären einen hohen spekulativen Anfangsgewinn einbringt, ist selbst für den nicht gerade linken Economist „als Generösität getarnter Diebstahl“. Ein Privatisierungs–Experte der Gewerkschaft NALGO beziffert den durch die Billigverkäufe entstandenen Verlust für den Steuerzahler auf bisher rund drei Milliarden. Die Gewerkschaften regen sich aber auch noch über weitere Verkaufsverluste auf. Die Makler und Finanzberater in der Londoner City sahnen nämlich bei den Mammut–Verkäufen ebenfalls kräftig ab. Im Falle von „British Gas“ schätzt der Gewerkschaftsdachverband die Verkaufskosten auf insgesamt 250 Millionen Pfund. Trotz dieser Kritik werden am Montag Millionen von Neuaktionären auf die Anzeigentafel der Londoner Börse starren, um dort ihren direkten Kursgewinn abzulesen. Viele von ihnen werden dann gleich wieder verkaufen, aber auch der Traum des Energieministers von „zehn Millionen Volksaktionären“ bis zum Ende des nächsten Jahres wird dann seiner Realisierung ein Stück näher gerückt sein. Dieses Ziel einer „Demokratie der Aktienbesitzer“ scheint für die Regierung Thatcher ebenso wichtig wie die Bekämpfung von AIDS. Für beide Anzeigenkampagnen, für die mit Sid und die gegen AIDS, gab sie nämlich jeweils 20 Millionen Pfund aus.