Überall Quecksilber

■ Neue Entdeckungen auf dem quecksilberverseuchten Gelände der Marktredwitzer Chemische Fabrik AG / Hochgiftige Chemikalien im Keller

Aus Marktredwitz Bernd Siegler

Sandoz ist überall - auch im oberfränkischen Fremdenverkehrsort Marktredwitz. Die Zahl der in den Skandal um die Chemische Fabrik AG verwickelten Behörden wächst nahezu proportional zu den Überraschungen, die die Berliner Entsorgungsfirma Harbauer bei ihren Arbeiten auf dem Firmengelände erlebt. Wie berichtet muß der Boden von Deutschlands ältester Chemiefabrik für 60 Millionen DM bis auf sieben Meter Tiefe abgetragen werden, denn das Erdreich ist hochgradig Quecksilber–verseucht. Neben bisher gefundenen 162.000 Liter zum Teil hochgiftiger und -explosiver Substanzen stieß man jetzt in einem als Privatraum deklarierten Keller auf ein Horrorkabinett von Chemikalien, die bei einem Brand oder einem anderen Störfall zu einer Katastrophe geführt hätten. Neben metallischem Natrium lagerten dort Zyankali, Schwefelsäure, die hochaggressive Flußsäure, Xylol, Phenol und andere hochgiftige Stoffe in nicht unbeträchtlichen Mengen. „Das war die Bombe“, erklärte der Umwelt beauftragte des Landratsamtes Wunsiedel, Gerhard Kuhbandner. Daß bei einer Vielzahl der bei der „Chemischen“ Beschäftigten erhöhte Quecksilberwerte im Blut und Urin festgestellt worden waren, wundert ihn nicht, denn „wir mußten zur Entsorgung, um die Gesundheit der beteiligten Arbeiter nicht zu gefährden, neue Filter anfertigen lassen, die bisher noch gar nicht auf den Markt waren“. Zusätzlich zur Berufsgenossenschaft, Gewerbeaufsichtsamt, dem Landesamt für Umweltschutz und der bis 1972 allein zuständigen Stadt Marktredwitz stößt nun das Wasserwirtschaftsamt in Bayreuth in den Kreis der in den Skandal verwickelten Institutionen. Die bayerische Landesanstalt für Wasserforschung hatte im Auftrag des Wasserwirtschaftsamtes in der direkt an der Fabrik vorbeifließenden Kösseine und ihrem Mündungsfluß Röslau in den Sedimenten hohe Quecksilbergehalte gemessen. Wie aus den der taz zugespielten Unterlagen hervorgeht, wurden am 21.8.1985 700 Meter unterhalb der „Chemischen“ 85 mg pro kg, zehn Monate später 60 mg und im März 1978 78 mg festgestellt. Von insgesamt 17 Messungen in einem Zeitraum von sechs Jahren lagen acht über 25 ppm, dem Grenzwert, bis zu dem Klärschlamm noch auf den Feldern aufgebracht werden darf. Erst als im Juni letzten Jahres die Kriminalpolizei in der Kösseine eine 400fache Überschreitung der Quecksilbergrenzwerte gemessen hatte, verfügte das Landratsamt die Schließung des Betriebs. Da die „Chemische“ seit 1972 über die „beste innerbetriebliche Abwasserreinigungsanlage hinsichtlich Quecksilber vefügt, mit der sogar die Trinkwasserverordnung eingehalten werden kann“, so Gerhard Kuhbandner, müssen Abwässer an der Anlage vorbei direkt in die Kösseine gepumpt worden sein. Außerdem führt die Regenwasserabflußrinne direkt durch den „Rauchfuchs“ der Verbrennungsanlage. Ein Großteil der Verbrennungsrückstände wurde damit in die Kösseine geschwemmt. Im Abluftkamin selbst wurden 416 Gramm Quecksilber pro Kilogramm Mörtel und Steine festgestellt, also nahezu die Hälfte der Bausubstanz.