Paris im Dezember 1986

■ Student von Polizei zu Tode geprügelt / Trauerdemonstration endete in Straßenschlacht / Aufruf zum Generalstreik am Donnerstag

Aus Paris Georg Blume „Der Tod von Malik markiert eine neue Etappe unserer Bewegung. Wir brauchen jetzt die Unterstützung der gesamten Bevölkerung.“ In gespannter Stille folgt die „Nationale Koordination“ der französischen Studenten am Samstag abend der Rede des Delegierten der Universität Paris–Dauphine, der Universität, wo Malik Oussekine studierte, bevor er in der Nacht zum Samstag unter den Knüppeln einer Sondereinheit der französischen Polizei ums Leben kam. Weder die Regierung noch die Polieipräfektur bestritten die Tat der Polizisten. Staatspräsident Mitterrand verurteilte das Vorgehen der Polizei indirekt: „Wer immer Gewalt ausübt, hat Unrecht.“ Doch die neue französische Schüler– und Studentenbewegung, kaum zwei Wochen alt, ist nach den Ausschreitungen der Polizei, die bereits am Donnerstag begannen, nicht mehr die gleiche. Am Samstag trauerten in Paris 50.000 Menschen in einem spontanen Schweigemarsch um den Tod Maliks. „Bisher gingen wir fröhlich auf die Straße, von unserem Sieg überzeugt, heute sind wir be drückt und entsetzt, aber um so entschlossener“, sagt eine Studentin. Entschlossenheit demonstrierte auch die „Nationale Koordination“ der Studenten. Sie protestiert weiterhin gegen die Beibehaltung der inzwischen von der Regierung abgeänderten Gesetzesvorlage zur Universitätsvorlage, doch verurteilt nun auf gleicher Ebene die „Niederschlagung des Aufstands“. Der heutige Tag wurde zum Trauertag für Malik Oussekine an allen Universitäten und Gymnasien erklärt. Die Studnten–Koordination ruft am Mittwoch das ganze Land zum Generalstreik auf. „Die Gewerkschaften können sich nicht mehr mit moralischen Appellen begnügen und müssen uns aktiv unterstützen“, so eine Studentin aus Grenoble. Indessen rief Premierminister Jacques Chirac die Franzosen zur Ruhe auf. Die Regierung werde „weder Ausschreitungen noch Versuche zur Destabilisierung durch behelmte Minderheiten hinnehmen“. Auch in der Nacht zum Sonntag war es zwischen Polizei und (unbehelmten) Demonstranten zu Zusamenstößen gekommen. Die französische Rechtsregierung erlebt ihre erste große innenpolitische Probe. Am Samstag reichte Hochschulminister Devaquet seinen Rücktritt ein. Innenminister Charles Pasqua, einst Chef der paramilitärischen gaullistischen SAC, kündigte am Sonntag eine härtere Gangart gegen „die Profis der Destabilisierung, Linke, Anarchisten jeder Hautfarbe und Nationalität“, an. Tagesthema Seite 3 Kommentar auf Seite 4 Siehe auch Berlin–Teil

„Sie betrügen, sie lügen, sie töten.“ Gegen den Tod eines Demonstranten durch Polizeiknüppel protestierten am Samstag Zehntausende in Paris. In der Nacht zum Sonntag kam es erneut zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei. Fotos: ap