Restrisiko in Lebensmitteln: Maden im Käse und Mäuse im Brot

■ Unternehmertagung der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie vergangene Woche in Köln / Verseuchte Lebensmittel als psychologisches Problem / Ziel: Angstabbau / Verbandschef Bahlsen: Wir können essen was wir wollen, alle Skandale sind im Ausland passiert

Von Thomas Gesterkamp

Köln (taz) - Messer, Gabel und Löffel lagen bereits auf dem Tisch, als die „Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie“ (BVE) am letzten Mittwoch ihre „4. Unternehmertagung“ in den Kölner Messehallen eröffnete. Bei zartem Fleisch und gedünstetem Gemüse diskutierten Verbandsfunktionäre und Pressevertreter über die viertgrößte Branche der Bundesrepublik, die sich über ihre Zukunft Sorgen macht: Angetreten, um die „guten Dinge des Lebens bereitzuhalten“ (BVE–Vorsitzender Hermann „Keks“ Bahlsen), müssen sich die Lebensmittelhersteller mit einer Affäre nach der anderen herumschlagen. „Der deutsche Verbraucher kann essen und trinken, was er will“, beruhigte Verbandschef Bahlsen gleich zu Beginn seine Zuhörer. Ob es um ungenießbare Nudel oder Glykolwein, um Tschernobyl oder die Rheinverschmutzung ging - alle Skandale der letzten Zeit seien im Ausland passiert: „Die Verunsicherung kommt nur daher, daß in den Zeitungen be wußt Angst erzeugt wird.“ Solche auf einfachstem Weltbild beruhende Beschimpfung mochten die Journalisten nicht auf sich sitzen lassen. Die provokativen Sprüche der Lebensmittelmanager erwie sen sich als Bumerang. Ihre selbstgefällige Auflistung von Exportquoten oder Nettopreisen (“1,5 Prozent mehr Umsatz trotz 200.000 Mägen weniger“) interessierte so recht keinen mehr. In den Mittelpunkt rückte stattdessen der „verunsicherte Verbraucher“. Immerhin hatte sich die Ernährungsindustrie genötigt gesehen, diesem Thema ein eigenes Diskus sionsforum zu widmen. Wettbewerbspolitik und Arbeitszeitverkürzung, die beiden anderen Punkte auf der Tagesordnung, gerieten darüber ins Hintertreffen. Der Grund für die von der Ernährungsindustrie betriebenen Kampagne ist leicht zu finden - in den Geschäftsbüchern. Wein und Nudeln verkauften sich nach den entsprechenden Skandalen schlecht. Jene Produkte, die mit Umweltkatastrophen in Verbindung gebracht werden, haben rapide Umsatzeinbußen erlitten. Nach Tschernobyl blieben Landwirte auf frischem Gemüse und Milchprodukten sitzen. Der Handel mit frischen Fischen geht stark zurück, seit Schlagzeilen über den verseuchten Rhein jedes zweite Frühstück begleiten und schließlich jeder weiß, daß alles Wasser ins Meer fließt. Für die deutsche Ernährungsindustrie ist das kein Anlaß zur Selbstkritik. Die neue Verunsicherung der Verbraucher, sagte Keksfabrikant Hermann Bahlsen in Köln, sei ein „Wohlstandsphänomen, weil Ängste, überhaupt nichts zu essen zu bekommen, aus dem täglichen Leben heraus sind.“ In Notzeiten frißt der Teufel Fliegen, der Verbraucher verdorbene Fische - über dieses zynische Abwiegeln kommt die Marketing–Strategie der Ernährungsindustrie nicht hinaus. Um den Umsatz der schwerverkäuflichen Produkte anzukurbeln, setzen die Manager nicht etwa auf eine verstärkte Kontrolle der verseuchten Rohstoffe. Erst kürzlich hatten sich Molkereien in Baden–Württemberg geweigert, Strahlenbelastungstests durchführen zu lassen, als die Cäsiumwerte in der Milch wieder angestiegen waren. Verunsicherte Verbraucher, meinen die Lebensmittelhersteller, seien ausschließlich ein psychologisches Problem. „Mit Inhaltsstoffen oder gar Schadstoffen hat das nichts zu tun“, rief Constantin Freiherr Heeremann, der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, bei seiner Tischrede zum „Kölner Abend“ aus. Zu Matjescocktail und altdeutschen Kartoffeln gab er noch einen drauf: „Maden im Käse und Mäuse im Brot sind die Ausnahme. Zu Ende gedacht sind sie sogar das Restrisiko, das jeder im Leben einmal auf sich nimmt.“