Sand im Getriebe des (Volks–)Zählwerks

■ Bundestreffen der Boykottinitiativen / Zähler gesucht im Öffentlichen Dienst / Von Vera Gaserow

Nachdem die erste große Werbekampagne für die datenmäßige Erfassung der Nation gelaufen ist, ist es im Vorwahlkampf um das pleiteträchtige Unternehmen Volkszählung ruhiger geworden. Nichtsdestotrotz gehen die

Berlin (taz) - Während „das Volk“ noch gut ein halbes Jahr Zeit hat, bis es die große Volkszählung hautnah zu spüren bekommt, sind die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes schon jetzt unmittelbar von der Volkszählung betroffen; aus dem Öffentlichen Dienst nämlich soll das 500.000 Mann und vor allem Frau starke Heer der amtlichen Zähler in erster Linie rekrutiert werden. „Etwa die Stärke unserer Bundeswehr“, so vermerkte letztes Jahr ein Referatsleiter des Statistischen Bundesamtes stolz, wird dieses Zählerheer haben müssen, das ab Mai 87 durch bundesdeutsche Häuser und Wohnungen marschieren soll. Nach dem Volkszählungsgesetz könnte zwar theoretisch jede/r in dieses „Zählerheer“ „eingezogen“ werden, denn Volkszählen gehört genau wie Wählerstimmenzählen zu den „Bürgerpflichten“. Der Einfachheit halber und weil man dort die besonders pflichtgetreuen „Bürger“ vermutet, werden die meisten Städte und Gemeinden für die Zählarbeit fast ausschließlich die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes heranziehen. Von der Gemeindeverwaltung in Garmisch–Partenkirchen über das Oberstufenzentrum in Hamburg bis zum Bundespresseamt in Bonn wird daher zur Zeit - mehr oder minder nachdrücklich - um Zähler aus den eigenen Reihen geworben. Noch passiert das in der Regel mit dem sanften Druck, sich doch bitte „freiwillig“ zu melden. Mit Merkblättern unter dem Slogan „Zähler - ein erhebendes Gefühl“ wirbt z.B. ein Berliner Bezirksamt dafür, doch das Amtssessel geplagte Hinterteil zu lüpfen, um mit dem Gang durch die Berliner Häuser etwas für die schlanke Linie zu tun. Der Lohn für dieses „Klinkenputzen“ trepp auf trepp ab ist jedoch alles andere als erhebend: Zwischen 3,50 DM bis 5 DM erhalten die Zähler je nach Bundesland für jeden Volkszählungsbogen, den sie ausgefüllt in die Erhebungsstelle zurück bringen. Für per Post zurückgesandte Bögen gibt es die stolze Belohnung von einer bis drei Mark - nicht gerade üppig als Belohnung für unfreiwillige Überstunden. Nach außen hin gibt man sich in den einzelnen Bundesländern bisher betont optimistisch, daß es gelingen werde, das Zählerheer auf freiwiliger Basis zusammenzustellen. Tatsächlich sind die bisher bekanntgewordenen Zahlen für die Verantwortlichen eher niederschmetternd: in Berlin, wo insgesamt 20.000 Volkszähler benötigt werden, haben sich „freiwillig“ bisher nur 2.500 gemeldet und da auch die geplante Schaffung von 800 Volkszählungs–Arbeitsplätzen für Sozialhilfeempfänger die Bilanz nur unwesentlich verschönt, wird man ab Januar darangehen, den öffentlichen Dienst zwangszuverpflichten. In Marburg hat sich der Universi tätspräsident dazu schon jetzt etwas besonderes einfallen lassen: Als sich auch nach mehreren Mahnschreiben unter den rund 2.000 Universitätsbediensteten nur ganze sechs zum volkszählen bereitfanden, kündigte der Präsident jetzt an, er werde eine Liste aller Unwilligen an die Stadtverwaltung weiterleiten. Wer nicht zählen will soll büßen Schon jetzt versuchen Behördenleiter und Vorgesetzte ihre Untergebenen mit einem Verweis auf die Beamtenpflichten und eventuelle disziplinarische Maßnahmen für die Zählertätigkeit zu „motivieren“. Tatsächlich kann jedoch den Mitarbeiter/innen des Öffentlichen Dienstes aus einer Verweigerung als Zähler nicht mehr passieren als anderen Sterblichen auch. Sie müssen im schlechtesten Fall mit einem Bußgeld wegen einer Ordnungswidrigkeit rechnen, dessen Höhe in Ländergesetzen geregelt ist. „Rechtliche Voraussetzungen für ein Disziplinarverfahren gegen Bedienstete sind nicht gegeben“, erklärt selbst der zuständige Referatsleiter im CDU–regierten Berliner Innensenat. In NRW läßt man auf Anfrage sogar durchscheinen, daß man auch auf das Druckmittel Bußgeld verzichten will, denn - so ein Sprecher des Innenministeriums - „nur ein freiwilliger Zähler ist ein guter Zähler“. Doch letztlich wird man sich auch mit wenig motivierten Zählern zufriedengeben, denn ohne sie läuft das Unternehmen Volkszählung einfach nicht. Damit diese sich nicht einfach in den Urlaub absetzen, werden etliche Städte und Gemeinden - pünktlich zu den Pfingstferien - von Ende Mai bis in die ersten Juniwochen hinein, eine Urlaubssperre für den Öffentlichen Dienst erlassen, um ihre Zähler/innen beisammen zu halten. Sanft ruht die Beamtenschaft Noch allerdings scheinen sich die Zähler in spe jedoch weder darüber im klaren zu sein, was auf sie zukommt, noch daß sie z.Zt. das entscheidende Rädchen im Zählwerk sind, das das gefährliche Milliardenunternehmen zum Scheitern bringen könnte. „Erst wenn es brennt, wenn alle dran sind, wachen die meisten auf“, meint man dazu bei der ÖTV in Stuttgart. Daß bei den Gewerkschaften allerdings der Wecker schon geklingelt hätte, kann man auch nicht gerade behaupten. Die GEW–Hamburg hat zwar ihre Mitglieder aufgefordert, sich nicht als Zähler zu melden, ansonsten aber herrscht auf Gewerkschaftsebene in Sachen Volkszählung verhaltenes Schweigen. Eine totale Urlaubssperre und einen Einsatz an irgendwelchen Orten hält man zwar auch für unsinnig. Rechtlich jedoch, so meint man bei der ÖTV in Stuttgart, sei wohl wenig zu machen. Sanft zu schlummern scheinen auch noch die Frauengruppen. Dabei wird das „Zählerheer“ - anders als die Bundeswehr - entsprechend der Zusammensetzung des Öffentlichen Dienstes zum großen Teil aus Frauen bestehen. Und nicht nur die Frauengleichstellungsstelle in Hamburg hat schon zahlreiche besorgte Anfragen von Frauen bekommen, die sich fragen, warum staatliche Stellen wie die Polizei sie einerseits vor nächtlichen Straßen oder Trampfahrten warnen, sie andererseits jedoch als Zählerinnen zum Betreten fremder Wohnungen zwingen wollen.