Von Produktionsverlagerungen kann keine Rede sein

■ Zerstören die neuen Technologien die Exportchancen der Entwicklungsländer? / Tagung in der evangelischen Akademie Arnoldshain zum Thema: Konzernstrategien transnationaler Unternehmen und die Zukunft der internationalen Arbeitsteilung / Bald zentrales Datensystem: Hier Programm–Einspeisung, dort die Ausführung?

Von Dirk Messner

Ein wahrlich düsteres Szenario zu den Entwicklungsperspektiven der Länder der Dritten Welt stand auf der Tagung der evangelischen Akademie in Arnoldshain in der vergangenen Woche zur Diskussion: Der Anreiz, Produktionsstätten in „Billiglohnländer“ auszulagern, schwindet zusehends. Der Grund: Die Multinationalen Konzerne forcieren die Automatisierung der Produktion, unter Verwendung der Mikroelektronik und Informationstechnologien. Der Anteil der Lohnkosten - Anreiz für die Verlagerung - sinkt. Die mit den Auslagerungen von arbeitsintensiven Fertigungstätten einhergehenden Industrialisierungserfolge in den Entwicklungsländern sind gefährdet. Nachdem in den siebziger Jahren der Anteil der Entwicklungsländer an der weltweiten Industrieproduktion immerhin von elf auf 15 Prozent und der Anteil an den Weltindustrieexporten von 6,6 auf 8,7 Prozent gestiegen war, würden sich, so die These, die insbesondere vom Club of Rome vertreten wird, viele Entwicklungsländer auf Jahrzehnte hinaus auf ihre traditionelle Rolle als Rohstofflieferanten zurückgeworfen sehen. Doch damit nicht genug. Nach der mikroelektronischen Welle wird die Entwicklung der Biotechnologien im Verlauf der neunziger Jahre auch die Position der Entwicklungsländer als Rohstofflieferanten grundlegend in Frage stellen. Soweit das Szenario, an dem sich die Seminarteilnehmer abarbeiteten. Die Folgen einer solchen Entwicklung wären tatsächlich katastrophal nicht nur im Hinblick auf die zu erwartende Verelendung von Millionen von Menschen in den Ländern der Dritten Welt. Sollten die Exporte der Entwicklungsländer derart drastisch sinken und damit die für den Schuldendienst notwendigen Devisen ausbleiben, so wäre eine Zuspitzung der Verschuldungskrise, womöglich ein Zusammenbruch des internationalen Finanz systems kaum vermeidbar. Auch wenn diese Betrachtungsweise in letzter Zeit Anhänger gefunden hat, in den Beiträgen der Tagungsteilnehmer aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gewerkschaften wurden diese apokalyptischen Entwicklungstendenzen der Weltarbeitsteilung nicht bestätigt. Zu Recht, denn schon rein empirisch betrachtet läßt sich die These von der Rückverlagerung von Produktionsanlagen aus der Dritten Welt mit der Folge von Deindustrialisierungsprozessen nicht aufrechterhalten. Gerade in den viel diskutierten Schwellenländern, auf die sich die Industrialisierungs– und Exporterfolge in der Dritten Welt im wesentlichen beschränken, kann nach Ansicht von Thomas Hurtienne vom Lateinamerika–Institut der Freien Universität Berlin und Prof. Ahn von der Universität Seoul von Rückverlagerungen der Produktionsanlagen in die klassischen Industrieländer keine Rede sein. Auffällig ist allerdings, daß sich in den Schwellenländern Ostasiens (Taiwan, Süd–Korea, Singapur, Hongkong), aber auch im hoch verschuldeten Brasilien Multinationale Konzerne zunehmend weniger in arbeitsintensiven Sektoren, aber deutlich stärker in kapital– und technologieintensiven Bereichen engagieren. Trotz fortschreitender Automatisierung und Rationalisierung ist der Industrialisierungsprozeß in diesen Ländern keinesfalls zum erliegen gekommen. Dies hat vor allem drei Gründe: Zum einen können die Entwicklungsländer den Konzernen noch immer günstigere Verwertungsbedingungen wie minimale Umwelt– und Arbeitsschutzauflagen, die Möglichkeit einer Auslastung der Maschinerie rund um die Uhr und ein mittlerweile entstandenes Potential an gut qualifizierten Arbeitskräften bieten. Zum zweiten orientiert sich ein nicht unerheblicher Anteil der Multinationalen Konzerne in Entwicklungsländern vor allem auf den dortigen Binnenmarkt. Es sind dies Versuche, die durch hohe Zollschranken geschützten Märkte insbesondere der lateinamerikanischen Länder abzusichern. Darüber hinaus muß drittens der Versuch, die Industrialisierungserfolge in einigen wenigen Schwellenländern auf das Engagement internationaler Konzerne zu reduzieren, als widerlegt betrachtet werden. Etwa 80 Prozent sowohl der Industrieproduktion als auch der Industrieexporte werden in Süd–Korea und Taiwan, auf die 1983 über 30 Prozent aller industriellen Exporte aus den Entwicklungsländern entfielen, von einheimischen Unternehmen getätigt. Daß diese Länder selbst im Falle massiver Rückverlagerungen von Produktionsanlagen durch multinationale Konzerne auf die Rolle als Rohstoffexporteure zurückgeworfen würden, erscheint daher kaum denkbar. Über die Auswirkungen der neuen Technologien auf die internationale Arbeitsteilung kann derzeit letztlich nur spekuliert werden. Noch erscheint der (Alp)Traum von den (beinahe) menschenleeren Fabriken, wie utopische Zukunftsmusik. Auch ist es in nächster Zukunft nicht realisierbar, über ein „zentrales Weltdatensystem“ - an dem allerdings im VW–Konzern eifrig getüftelt wird - in Wolfsburg Programme einzugeben, die dann in den Produktionsstätten Mexikos ausgeführt werden. Vielmehr wurde sowohl in den Ausführungen des Hamburger Politologen Meyer–Stamer, als auch in den Referaten der Herren aus den Vorstandsetagen von VW und Hoechst deutlich, daß die Möglichkeiten der neuen Technologie nicht ausgeschöpft seien, man sich eher in einer Orientierungsphase befinde. Hinsichtlich des Umgangs mit den neuen Technologien gingen die Meinungen dann deutlich auseinander: während die Vertreter von Wissenschaft und Gewerkschaft politische Steuerung vorschlugen, um die Chancen und Gefahren der neuen Technologien auch für die Dritte Welt kontrollieren zu können, setzten die Vertreter der freien Marktwirtschaft auf die berühmte „unvisible hand“, von der Adam Smith bereits vor über zweihundert Jahren behauptet hatte, sie würde schon alles zum Besten richten.