Zweifellos gescheitert

■ Nationaler Konsens stoppt Chiracs Rechtsruck

Es besteht kein Zweifel mehr. In Frankreich ist es einer Bewegung, die sich nachdrücklich als unpolitisch definierte, gelungen, dem politischen Projekt der Rechtsregierung einen Riegel vorzuschieben. Es geht nicht mehr um die Rücknahme eines umstrittenen Gesetzesvorhabens und die Abservierung eines Ministers. Nein, Chiracs konservative Revolution schlechthin ist gestoppt. Die Pariser Ereignisse der vergangenen Tage sind in ihrer Tragweite mit dem Scheitern von Mitterrands Reformprojekt von 1983 durchaus vergleichbar. Der Sozialist Mitterrand war an den wirtschaftlichen Sachzwängen gescheitert, der Konservative Chirac an einer sozialen Bewegung. Allein schon deren potentielle Stärke hat Chirac zur Kapitulation gezwungen. Allein schon das Gespenst einer sozialen Revolte zwang Chirac zum Handeln. Mitterrand ist den materiellen Ansprüchen der Franzosen nicht gerecht geworden, Chirac setzt sich über ihre ideellen hinweg. Seine konservative Revolution ist die offensive Mißachtung dessen, was die Franzosen einst auf ihre Fahnen geschrieben hatten: liberte, egalite, fraternite, eine Verletzung des nationalen Konsenses also. Die Studenten und Schüler haben genau das erfolgreich thematisiert. Ihr Kampf gegen die Elite–Universität ist ein Kampf für die Gleichheit, ihr Engagement im Rahmen der SOS–Racisme war ein Kampf für die Brüderlichkeit, ihr gestriger Trauerzug ist ein Kampf für die Freiheit: die Freiheit demonstrieren zu dürfen, ohne erschlagen zu werden. Thomas Schmid