Explosive Stimmung in der Westbank

■ Um Eskalationen zu vermeiden, gehen Israelis nun auch gegen israelische Demonstranten vor / Arabische Studenten empört über Repressionen / Neue Taktik der israelischen Besatzer / Frustrierte Stimmung nach zwanzig Jahren Besatzung

Aus Tel Aviv Amos Wollin

Um eine weitere Eskalation der Proteste in den von den Israelis besetzten arabischen Gebieten zu vermeiden, haben Israels Sicherheitsbehörden jedenfalls zeitweilig die Taktik geändert und intervenieren in arabischen Städten und Flüchtlingslagern - dann, wenn es zu massiveren Demonstrationen kommt. Bei kleineren Protestaktionen halten sich die Israelis zur Zeit zurück. Gleichzeitig wird die Anwesenheit verstärkter Militär– und Grenzschutzeinheiten betont, während die Polizei angebliche Unruhestifter verhaftet. General Ehud Barak, der die Streitkräfte in den besetzten Gebieten kommandiert, erklärte, daß die Ordnung in wenigen Tagen wiederhergestellt werden kann. Andererseits ging man jetzt scharf gegen israelische Demonstranten vor, die ihre Solidarität mit den palästinensischen Studenten zum Ausdruck bringen wollen. Zweiundzwanzig Verhaftete Demonstranten in Tel Aviv beklagten sich über brutales Vorgehen der Polizei, die einige der Festgehaltenen Jugendlichen geschlagen und verwundet haben soll. Auch Sicherheitskräfte, die mit Tränengasgranaten gegen demonstrierende Studenten der Linken Campus–Fraktion in der hebräischen Universität auf dem Scopus–Berg in Jerusalem einschritten, benahmen sich ungewöhnlich aggressiv. Andererseits gab es keine Zusammenstöße bei Demonstrationen der Studenten der Haifaer Universität, die eine Untersuchung der Grenzschutz– Angriffe auf Studenten der Westbank–Universität Birzeit forderten. Professoren der Universität Birzeit beschuldigen die israelischen Sicherheitsbehörden, den Transport der in den Straßenschlachten Verwundeten ins Spital verhindert zu haben. Der Dekan der Birzeiter Universität, Dr. Munir Fasha, der kürzlich aus Harvard, USA, zurückgekehrt ist, bemerkte, daß die Lage der palästinensischen Universitäten in den letzten Jahren viel schlimmer geworden sei, weil die israelischen Behörden permanent eingreifen, Studenten verhaften und den normalen Universitätsbetrieb unmöglich machen. Anstatt die Universitäten - wie früher - auf Wochen oder Monaten hin zu sperren, ist das System jetzt anders: Man belästigt die Studenten auf dem Weg zur Universität und hält sie systematisch an Straßensperren fest oder fordert sie auf, wieder in ihre Wohnorte zurückzukehren. Der direkte Anlaß für die Proteste der Studenten, die zu den Schießereien der vergangenen Woche führten, waren diese provokativen Schikanen seitens der Besatzungsbehörden, meint Dr. Munir Fasha. Nach zwanzig Jahren Okkupation ist die Lage so gespannt und frustrierend, daß es je derzeit zu Demonstrationen und Konflikten mit den Besatzern kommen kann, auch ohne besonders spektakulären Anlässe. Andererseits waren die rassistischen Ausschreitungen gegen die Palästinenser in Ost–Jerusalem während des vorigen Monats, sowie die Angriffe auf die Flüchtlingslager im Südlibanon besonders provozierend. Diplomatische Kreise in Tel Aviv warnen vor der explosiven Stimmung der 1,5 Millionen Palästinenser in den besetzten Gebieten. Weiter wird in Israels Hauptstadt Tel Aviv darauf hingewiesen, daß das brutale Vorgehen der israelischen Besatzertruppen, von Militärs und Polizei, im besetzten Teil Jordaniens inzwischen auch bei der arabischen Minderheit in Israel (17 Prozent der israelischen Bevölkerung) zu heftigen Protesten und zu einer starken Soldarisierung mit den Palästinensern in den besetzten Gebieten geführt hat. Die sich daraus ergebenden politischen Spannungen in Israel selbst könnten zu ähnlichen Problemen wie in der Westbank führen.