Festessen aus schwarzer Schattenwirtschaft

■ Jeden Morgen beginnt in Teheran der Run auf die Karten für rationierte Waren / Nebenverdienst für Händler deckt Bedürfnisse der Bevölkerung / Mangel an Waren durch Nachdruck und Wiederverkauf der Wertcoupons „ausgeglichen“

Aus Teheran Robert Silvester

Früh am Morgen schon bricht das Fieber aus. Auf dem Bürgersteig der Fatemi–Straße im Herzen Teherans, genau vor einem Regierungs–Supermarkt, reihen sich die Schwarzmarkt–Schacherer auf. Jeden Morgen geht es hier, wie auch an vielen anderen Stellen der Stadt, um „die Karte“; um jenes kleine Stück Papier nämlich, mit dem man im Iran rationierte Waren kaufen kann. Ganz früh morgens sind es zumeist Hausfrauen, die die wartenden Männer ansprechen. Hastige Fragen im Vorbeigehen: „Nr.35 für Reis?“ oder „Nr. 20 für Kerosin?“. Der Coupon, die Warenkarte, ist ein Kind der Regierungs–Kampagne „Gerechte Verteilung“. Dieser Sprößling der Kriegs–Ökonomie ist schon sechs Jahre alt und inzwischen ist das zwei mal sechs Zentimeter große, numerierte Stück Papier längst selbst in eine Ware verwandelt worden, die überall auf Schwarzmärkten erworben werden kann. Das Rationierungs–System ist in extremer Weise zentralisiert. Einmal im Jahr werden die Coupons durch das öffentliche Bank– System verteilt. Ein großes Blatt Papier ist in 50 Abschnitte geteilt, jeder Abschnitt trägt eine Nummer von 1 bis 50. Ständig hört man im Radio amtliche Aufforderungen, in bestimmten Läden oder Handels–Kooperativen bestimmte Waren mit bestimmten Nummern–Coupons zu kaufen. Die Rationen sind knapp bemessen, zu knapp um ausschließlich davon zu leben: Reis: 1 Kilo pro Kopf und Monat, Fleisch: 750g, Eier: 1 Kilo, Butter: 250g, Wasch– Pulver: 1 Kilo, Seife: 1 Stück, Hühnerfleisch: 1 Kilo, Speise–Öl: 450g, Zucker: 1,2 Kilo, Kerosin: 20 Liter, Benzin: 30 Liter. Zu den liebsten sozialen Gewohnheiten der Iraner gehört ohne Frage, mindestens einmal in der Woche irgendwelche Verwandte zu einem Essen einzuladen. Um sich dies Vergnügen noch leisten zu können, muß eine durchschnittliche Familie auf dem Schwarzmarkt entweder zehnfache Preise für die Ware zahlen - oder „die Karte“ schwarz kaufen. Die Schwarzmarkt–Händler sind zumeist Bauern, die infolge des Zusammenbruchs der iranischen Landwirtschaft in die Städte gewandert sind, oder auch arbeitslose Oberschulabgänger, pensionierte Beamte und jene, die ihren Job aus politischen Gründen verloren haben. Gerade 100 Meter vom Intercontinental Hotel entfernt, steht, an die Fassade eines offiziellen „Verbraucher– Markts“ gelehnt, Rahmat–Ali, Bauer aus Azerbeidjan: „Das ist unser Gebiet“, sagt er mit entschiedener Geste, „Wir sind vierhundert Leute in zwei Gruppen. Das reicht. Fremde können hier nichts mehr machen.“ Eigentlich ist er Bau–Arbeiter, erzählt er. Wenn es keine Arbeit gibt, bekommt er Geld und Coupons von seinem Chef und zieht ab auf den Schwarzmarkt. „Wir kriegen einen Anteil“, sagt Rahmat–Ali zufrieden nickend, „einige Prozent, immer hin. Ich sollte jetzt auf dem Bau sein, aber ich hab mir gedacht, der Handel bringt mehr“. Rahmat–Ali bietet Einzel–Karten an, die er von Leuten aufkauft, die eine bestimmte Ware nicht mehr in den Regalen der Kaufhäuser gefunden haben. Man kann aber auch druckfrische Bögen mit dem Gesamt–Angebot der Rationierung erwerben. Sie scheinen direkt aus den Regierung–Druckereien auf der Straße zu landen. Andere Karten sind so abgegriffen, daß sie offenbar mehrmals den Kreislauf Kunde - Laden - Bank, wo sie entwertet werden müßten, gemacht haben. Das „Hauptquartier für Ökonomische Mobilisierung“ des Premier–Ministers Musavi ist völlig unfähig, die Situation zu kontrollieren. Differenzierte Netzwerke zur Verteilung und natürlich auch - illegaler - Herstellung der Karten überziehen das Land. Alle Propaganda und Verhaftungswellen gegen diese „Agenten–Netze des Imperialismus“ sind bisher ohne Wirkung geblieben. Mit dem Niedergang der Öl–Einnahmen hat sich die Bedeutung des Schwarzmarktes im Gegenteil noch verstärkt. Benzin–Schwarzmarktpreise sind gen Himmel geschossen. Ahmed, ein pensionierter Lehrer, wartet seit Stunden in einer Schlange auf sein monatliches Stück Seife. „Am Ende werden sie noch das Atmen rationieren. Nun ja, das ist dann ihr Ende.“