Parlamentarische Nachbeben

■ Der für den Polizeieinsatz bei den Pariser Demonstrationen verantwortliche Innenminister Pasqua gerät in die Schußlinie / Ermittlungen gegen „berittene“ Schlägerpolizisten laufen

Aus Paris Thomas Schmid

Auf die Großdemonstration, mit der in Paris am Mittwoch abend Hunderttausende des totgeknüppelten Studenten Malik Oussekine gedachten, folgen jetzt die parlamentarischen Nachbeben. In der Nationalversammlung ist Innenminister Pasqua, der für die Polizeieinsätze verantwortlich zeichnet, ins Kreuzfeuer der Opposition geraten. Aber selbst in der Regierungskoalition stößt der Rechtsaußen der Regierung keineswegs auf ungeteilte Zustimmung. So ist auch Raymond Barre, der Mitterrand einst als Premierminister gedient hat und heute eine der populärsten Figuren der UDF Giscard dEstaings ist, auf vorsichtige Distanz gegangen. In seiner Rede bekundete er Verständnis für die Studenten und schlug leise, aber doch unüberhörbare Töne der Kritik an Pasquas Kurs an. Hinter den Kulissen sind im Regierungslager jedenfalls die Vorgeplänkel um Weichenstellung und Startblöcke für die Präsidentschaftswahlen 1988 schon in vollem Gang. In der Parlamentsdebatte erklärte Pasqua am Mittwochabend, daß nun von seiner Seite offiziell ermittelt werde, wie es möglich war, daß „eine legitime Protestbewegung sich in eine gewalttätige Bewegung verwandelt hat“. Selbst wenn man davon ausgeht, daß militante isolierte Kleingruppen auf Randale aus waren, ist es völlig absurd, diese Bewegung als gewalttätig zu bezeichnen. Die Bewegung war - für Frankreich neu - extrem pazifistisch und hatte einen moralischen Abscheu vor Gewalt. Deshalb auch war diese „neue Generation“, wie sie hier genannt wird, geschockt über die Brutalität der Polizei, darüber, daß diese einen Stoßtrupp der Rechten unbehelligt ließ, über den Einsatz polizeilicher Demonstranten und vor allem über den Tod Malik Oussekines. Inzwischen sind vier Polizisten der „Voltigeurs motocyclistes“, einer bisher kaum bekannten Spezialtruppe, die am vergangenen Freitag das Quartier Latin terrorisierte, verhört worden. Vor dem Ermittlungsrichter sagten sie aus, Malik habe in einer Gruppe gestanden, die die Polizei provoziert habe. Auch ein Stein sei geflogen, und deshalb sei man mit Knüppeln vorgegangen. Sämtliche Aussagen von unbeteiligten Zeugen widersprechen dieser Darstellung. Malik ist in einen Hauseingang geflüchtet und dort zusammengeschlagen worden. Weshalb sie ihn nicht festnahmen, sondern ihn einfach liegen ließen, konnten die Voltigeurs dem Ermitllungsrichter nicht erklären. Die Entlassung von mindestens drei der Verhörten aus dem Polizeidienst steht offenbar unmittelbar bevor. Die Querele um die genaue Todesursache ist noch nicht abgeschlossen. Klar ist inzwischen nur, daß Malik einen Schlag auf den Hinterkopf erhalten hat. Ein offizielles Kommunique spricht von einem „Herzversagen unter traumatischen Umständen, wie es bei schweren chronischen Nierenleiden vorkommen kann“ und stellt dann fest: „Die Verletzungen durch gewalttätige Einwirkungen allein können den Tod nicht erklären.“ Fachärzte haben einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Maliks Nierenleiden und einem Herzversagen bestritten. Georges Kieyman, Anwalt der Familie des Toten, mag sich nicht mehr auf dieser Ebene herumschlagen. „Traumatische Zustände“, sagt er, „das heißt doch gerade, daß man ihn krumm und lahm geschlagen hat. Wenn die jetzt sagen, er hätte überlebt, wenn er eine gesunde Niere gehabt hätte, kann ich nur antworten, er hätte überlebt, wenn man ihn nicht totgeknüppelt hätte.“