Was reimt sich wohl auf Helmut Kohl?

■ Plakate, Broschüren, TV–Spots, flammende Reden in Kongreßhallen und Dorfkneipen: Die heiße Phase des Wahlkampfes hat in den Werbeagenturen begonnen

Michael Miersch

Diesmal gehts um die Zukunft. Die Angst, sie könnten keine Zukunft haben, scheint den Deutschen bis ins Mark zu gehen. In der Zukunftsangst kulminieren alle anderen Ängste: Die vorm Waldsterben, die vor den Raketen, die vorm bösen Ausländer, der einem die Wurst vom Brot zieht, die vor der Inflation und vorm Verfall der Renten. So scheinen es zumindest die Werbefachleute der Parteien zu sehen. Denn im Winterwahlkampf 86/87 versprechen uns alle die Zukunft: Die FDP verspricht „Zukunft durch Leistung“, die CDU erklärt sich unbescheiden selbst zur Zukunft und die SPD will mit einem semantischen Doppelaxel a la Hans–Jürgen Bäumler die „Zukunft bewahren“. Wahrscheinlich vor der CDU. Nur die Grünen haben sich nichts zur Zukunft einfallen lassen, aber die führen ohnehin keinen Wahlkampf (dazu später). „Flagge zeigen“ Insgesamt 100 Millionen Mark geben die Parteien diesmal aus, um uns mit ihren Zukunftssprüchen zu beglücken. Rechnet man die mehr oder weniger gut getarnten Anzeigen dazu, mit denen die Industrieverbände die Regierungsparteien puschen, doppelt sich der Betrag. Dabei kann keiner so recht sagen, ob Wahlwerbung die Wähler wirklich beeinflußt. Im Gegenteil: Wasserwerker haben gemessen, daß der Wasserverbrauch regelmäßig steigt, wenn dem fernsehenden Volk ein Wahlwerbespot angekündigt wird. Wozu also der ganze Aufwand? „Im Grunde werden durch die Werbung nur die Stammwähler stabilisiert“, antwortet Jutta Krämer von der SPD–Wahlkampftruppe, „es geht lediglich darum Flagge, zu zeigen.“ Peter Schröder, über dessen Schreibtisch in St. Augustin die FDP– Kampagne läuft, formuliert es noch deutlicher:“Die Leute müssen bis zur Penetranz merken, daß eine Partei vorhanden ist.“ Das Wählerpotential, daß sich wirklich durch Werbung bewegen läßt, schätzt er für seine Partei auf knappe zehn Prozent, des letztendlich erreichten Stimmenanteils. Dabei greift er sicher nicht zu niedrig, denn schließlich hängt sein Stuhl an dem Glauben, die sechs Millionen FDP–Wahlkampfgelder seien gut angelegtes Geld. Wenn die ebenso gefürchteten, wie begehrten Wechselwähler durch direkte Beeinflussung kaum auf den Leim zu locken sind, müssen sich die Wahlkampfstrategen Umwege einfallen lassen. So richtet sich das Hauptaugenmerk auf die eigenen Leute. Ziel der meisten Broschüren, Plakate und Fernsehspots ist es, die ohnehin treuen Parteianhänger so zu motivieren, daß sie die labilen Elemente im Freundeskreis mit den richtigen Parolen versorgen können. Es gilt die alte Erkenntnis der Demoskopen: Man wählt, was das soziale Umfeld wählt. Oder wie es Peter Schröder formuliert: „Das wichtigste Medium sind unsere Mitglieder.“ Aus diesem Grund verschickt er die „Neue Bonner Depesche“, in der die Parteigänger ganze 45 Gründe nachlesen können, aus denen man die FDP wählen kann. Hauptamtliche liberale Funktionäre bekommen zusätzlich die etwas feinere „Generalsekretärsinformation.“ Argumente aus dem Satzbaukasten Absolute Perfektion hat der Argumente–Service bei den Sozialdemokraten erlangt. Der Genosse, der in seiner Stammkneipe eine flammende Rede auf den demokratischen Sozialismus halten will, braucht sich selbst keinen einzigen Gedanken zu machen. Ein Satzbaukasten im praktischen Plastikmäppchen liefert ihm kernige Sprüche über alles und jedes. 76 Argumentkärtchen ( von A1 bis L4) können sich beliebig kombinieren lassen. Er kann z.B. bei „Geschichte und nationale Identität“(B9) anfangen, dann zur „Kriegsopferversorgung“(G7) übergehen und am Schluß gegen die „Frauenpolitik der Grünen“(I5) wettern. Auf den klugen Kärtchen finden sich Sätze zur Asylpolitik (“Die Gespräche, die Egon Bahr im Auftrag von Johannes Rau in der DDR geführt hat, haben zur Beruhigung der Diskussion geführt“) ebenso wie zur Neuen Heimat (“Wir Sozialdemokraten stehen vor einer schwierigen Situation“). Diejenigen im Lande, die keinen Sozialdemokraten im Freundeskreis haben, können sich immerhin eine Hochglanzbroschüre zuschicken lassen, in der 48 freundliche Genossen ihnen sagen, was Sache ist. Wahlforscher haben sie so zusammengestellt, daß alle Gruppen repräsentiert sind, die nicht zur SPD–Stammwählerschaft gehören. Einer ist der zünftige Trachtler Max Falter: „Als überzeugter Bayer stehe ich mit ganzem Herzen hinter dem Nordlicht Rau. Die Erstwählerin Angela Crone soll offensichtlich ganz andere Wählerkreise ansprechen: „So Typen wie Joschka Fischer finde ich eigentlich ganz toll. Aber...irre Typen allein reichen nicht, um unsere Probleme zu lösen.“ Verlockender Parteienservice CDU–Mitglieder sollen nach dem Willen von Bundesgeschäfts führer Peter Radunski durch praktische Serviceleistungen überzeugen. So werden engagierte Jung– Unionisten in den nächsten Wochen Schnee schippen, Weihnachtsbäume abholen und fußlahme Wähler zur Urne fahren. Solch praktische Nächstenliebe bieten im beschränkten Maße auch die anderen Parteien. Für gewitzte Wähler bietet sich also am 25.Januar die verlockende Möglichkeit, sich morgens von der CDU die Tür freischaufeln zu lassen, dann mit dem SPD–Service ins Wahllokal zu fahren, um dort mit einem FDP–Kugelschreiber das Kreuz bei den Grünen zu machen. Der durch Genschers Wende in den Winter verlegte Wahlkampf fordert die Phantasie der PR– Fachleute in besonderem Maße. Nicht nur, daß bei Minustemperaturen kaum Leute zu bewegen, sind längere Zeit auf Freiluftkundgebungen zu verharren, auch Graphiker und Fotographen stehen vor speziellen Problemen. Die Personalisierungplakate der FDP wurden z.B. im August fotografiert. Wenn jetzt Lambsdorf an grauen Wintertagen auf einem Plakat erscheinen würde, daß ihn auf grüner Wiese unter strahlend blauem Himmel zeigt, könnte leicht ein falscher Eindruck entstehen. Böswillige würden vermuten, der Ex–Wirtschaftsminister grüße aus einem Steuerparadies in der Karibik. So wählten die Fotografen Seen, gepflügte Äcker und diesiges Morgenlicht, um die FDP–Prominenz auch im August winterlich auf die Platte zu kriegen. Die restlichen Grüntöne wurden dann im Labor entfernt. Ein weiteres Resultat der wahlkampffeindlichen Witterung: Die Telefonbelästigung wird in den Monaten Dezember und Januar sprunghaft ansteigen. Die fremden Stimmen am anderen Ende der Leitung sind allerdings nicht darauf aus, uns verklemmte Ferkeleien ins Ohr zu keuchen, ihre Begierde richtet sich auf ganz andere Dinge. Erstmals in diesem Wahlkampf werden die beiden großen Parteien eine Werbeform ausprobieren, die die Amerikaner Tele phon–Canvassing nennen: Stimmenfang per Telefon. Überrumpelung per TV–Spot Noch schutzloser werden wir den TV–Spots ausgeliefert sein, von denen die beiden großen Parteien je acht und die kleineren vier produzieren dürfen. Die Sozialdemokraten wollen sich die Spots aus ihrem Europawahlkampf zum Vorbild nehmen. Sie sollen in erster Linie zum Wählengehen animieren und Wählen als „kommunikatives Erlebnis“ darstellen. Die F.D.P. zieht mit vier kurz und hart geschnittenen Filmchen ins Feld, von denen der eine die Kontinuität der FDP–Politik in unserer Republik visualisieren soll. Eine Kontinuität, in der der skandalträchtige Ex–Vorsitzende Mende nicht auftaucht. Dafür ist dauernd Martin Bangemann zu sehen. Wie in der alten Stalin–Legende vom fleißigen Landesvater, der nie schläft (“Im Kreml brennt immer ein Licht“) sitzt er des nachts in seinem Büro und waltet über die Geschicke der Nation. In einem Spot mit dem Arbeitstitel „Umwelt–Bildung–Technologie“ gibts Atomkraftwerke unter blitzblaublankem Himmel zu sehen und einen Bodenseefischer, der sich über das saubere Wasser freut (diese Sequenz ist vermutlich inzwischen gestrichen), danach wieder Martin Bangemann, dem wir das alles zu verdanken haben. Die Grünen haben sich diesmal Profis an Land gezogen. Helke Sander und Christian Müller, der für Gerhard Polt textet und inszeniert, führen Regie bei den TV– Spots. Die CDU will noch nicht verraten, mit welchen Filmkunstwerken sie die Fernsehzuschauer überraschen wird. Überhaupt werden die Ideen zur Wahlkampagne der Christenunion gehütet wie der heilige Gral. Styling ist alles Wichtiger als alle TV–Spots, Plakate und Broschüren ist den Werbepsychologen die Werbung, die nicht wie Werbung aussieht. Die „unpolitischen“ Fernsehauftritte der Kandidaten, bei denen der „human touch“ so richtig gut rüberkommt. Talkmaster und Quizmaster sind in Wahlkampfzeiten die meist umworbensten Werbeträger der Parteien. „Allein die Anwesenheit in solchen Sendungen ist enorm wichtig,“ beteuert FDP–Werber Schröder. Jutta Krämer von der SPD–Planungsgruppe bringt es auf den Punkt: „Wetten das ist wesentlich wichtiger als irgendein politisches Montagsmagazin.“ Die Begeisterung wäre wahrscheinlich weniger groß, wenn die beiden Kanzlerkandidaten Quizsendungen als Quizkandidaten bestehen müßten.“ Womit wir beim größten Problem der Werbeprofis wären: Der Personalisierung. Wie macht man aus Leuten Idole, die als Pop–Star, Filmheld oder Fotomodell glatt durchfallen würden? Alles eine Frage der Technik. Bereits im 80er Wahlkampf gelang den Fotografen, Beleuchtern und Retuscheuren die fast übermenschliche Leistung, aus der Physiognomie eines Franz–Josef Strauß ein fast menschliches Antlitz zu zaubern. Die Fotografen von 1986 stehen ihren Kollegen von damals um nichts nach. Über dem selbstbewußten Slogan „Den besten für Deutschland“ zeigt ein ebenso selbstbewußter Johannes Rau einen Gesichtsausdruck, der als entschlossenes Lächeln durchgehen könnte. Harte Licht–Schatten–Kontraste tilgen die letzten Reste von frömmelndem Versöhnlertum aus dem Portrait des Kandidaten. In der offiziellen CDU–Hochglanzbroschüre ist es gar gelungen, aus den zerfließenden Gesichtszügen von Helmut Kohl ein markantes Profil zu gestalten. Kombiniert mit der phallischen Härte des „Weiter so“–Daumens, wird uns ein Regierungschef gezeigt, den nichts mehr bremsen kann: „Der Dirigent des Aufschwungs.“ Und wen personalisiert die FDP? Nein, nicht Genscher. „Die Null am Kabinetstisch“ (SPD–Slogan) wird in den Vordergrund gestellt. Martin Bangemann verspricht zwischen dem 6. und dem 25.Januar auf 11.000 Großflächenplakaten „Zukunft durch Leistung“. Über seinem Jackett ein weißes Rechteck mit der Aufschrift „Zweitstimme“. Grüner Wahlkampf: Ganz anders? So, und jetzt zu den ganz anderen. Zu denen, die uns nicht mit Sprüchen wie aus der Persil–Reklame hinters Licht führen wollen. Zu denen, die nur kluge Wähler haben und ihr Geld lieber in Öko– Fonds als in Wahlkämpfe stecken. So, oder so ähnlich hört es sich an, wenn man mit den Grünen über Wahlkampfwerbung spricht. „Werbung“ ist ein schmutziges Wort und wird von den Grünen nur ungern in den Mund genommen. Bundesgeschäftsführer Eberhard Walde: „Wir machen keine Werbung, wir versuchen politische Inhalte in konzentrierter Form rüberzubringen. Wir machen keine Wahlkampagne, sondern eine kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit.“ Die Frage, was der Wahlkampf kostet, mag er nicht beantworten. Erst als ich mich der Sprachregelung unterwerfe und frage, was denn die Information der Öffentlichkeit im Januar 1987 kosten wird, bekomme ich Antwort: 2,5 Millionen Mark. Dabei gibt es eigentlich keinen Grund, so verschämt mit der Tatsache umzugehen, daß man auch Werbemethoden einsetzt, um am 25.Januar möglichst gut abzuschneiden. Der grüne Wahlkampf wird nicht nur professioneller, sondern auch witziger und unterhaltsamer als die vergangenen. Auch die biodynamischsten Urschuhapostel haben inzwischen eingesehen, daß die altbackenen Dreifarben–Siebdrucke nicht fünf Jahre hintereinander geklebt werden können und daß reines Gejammere um sauren Regen und Becquerel noch keinen guten Wahlspot macht. Die sechsköpfige Wahlkampfgruppe, der der Berliner Werbeprofi Michael Etter zur Seite steht, hat ein paar Ideen entwickelt, die sich durchaus sehen lassen können. Ab Januar werden wir in den Genuß eines von Helke Sander gedrehten Spots zur Frauenpolitik kommen: Hauptdarstellerin Christine Kaufmann. Christian Müller hat einen Umweltkrimi produziert. Um es vorweg zu nehmen: Der Täter heißt Walter Wallmann. Skandalreggae Als absolutes Glanzstück der Kampagne lieferte der geniale Münchner eine Bild–Ton–Collage, die beste Chancen hat, zum Disco–Hit zu avancieren. Die schönsten Skandale der Wenderegierung werden musikalisch aufbereitet in einem Mischmasch aus Rap, Reggae und Karnevalsschlager. Titel:“Was reimt sich wohl auf Helmut Kohl?“ Auch die Plakate sind diesmal pfiffiger, Graphiker wie Michael Sowa tragen dazu bei. Richard Herten, Ex– Trommler von „Schröder“ und „Ton–Steine–Scherben“ ist, gerade dabei, eine Tournee mit bekannten Musikern auf die Beine zu stellen. Titel:“Winterzauber“. Sein Hauptproblem ist die SPD, die z.Z. linken Kulturschaffenden bestbezahlte Verträge anbietet, um sie von grüner Wahlkampfhilfe abzuhalten. Einen richtigen Slogan werden die Grünen diesmal auch haben. Er ist fast so kernig wie „Weiter so Deutschland“und heißt „Farbe bekennen“. Doch all das ist nur schmückendes Beiwerk. Die größte Zugnummer, so sieht es die grüne Wahlkampfkoordinatorin Anne Schulz, ist die Realität selbst: „Die gesellschaftlichen Probleme liegen so klar auf der Hand, die Lösungsmöglichkeiten sind so lange diskutiert, daß man eigentlich nur noch die Fakten präsentieren muß.“