Chinas Studenten fordern Demokratie

■ In der Anhui–Provinz sollen 3.000 Studenten für Demokratisierung demonstriert haben / Sie fordern als „fünfte Modernisierung“ die gesellschaftlich–ideologische Erneuerung der chinesischen Gesellschaft

Von Jürgen Kremb

Berlin (taz) - In China soll es in den vergangenen Tagen zu Studentendemonstrationen für eine Demokratisierung des Landes gekommen sein. Wie die Rundfunkstation British Broadcasting Cooperation (BBC) in ihrem „worldservice“ mehrmals meldete, haben etwa 3.000 Hochschüler bei Protestmärschen in Hefei, der Hauptstadt der Anhui–Provinz, die „fünfte Modernisierung“ für China gefordert. Unter den „vier Modernisierungen“ versteht man in China das Programm der wirtschaftlichen Reform schlechthin. Die Bereiche Landwirtschaft, Industrie, Landesverteidigung sowie Wissenschaft und Technik sollen in der Nach–Mao–Ära mit Expertenwissen, Westöffnung und Auslandskapital auf Vordermann gebracht werden. Eine gesellschaftlich–ideologische Erneuerung war von der KPCh selbst sowohl von Hua Guofeng, dem Begründer der Idee, als auch von seinem Nachfolger und heutigen starken Mann Chinas, Deng Xiaoping, hartnäckig ausgespart worden. Dennoch war über die Demokratisierung der Volksrepublik China als sogenannte „fünfte Modernisierung“ seit dem Ende der Kulturrevolution im Jahre 1976 mehrmals heftigst in der Öffentlichkeit debattiert worden. Der erste Versuch im Winter 1978/79 an der Beijinger „Mauer der Demokratie“ gegen die Allgewalt der kommunistischen Partei zu demonstrieren, endete mit langen Haftstrafen für die Akteure dieser Bewegung. Einen zweiten Ansatz im sozialistischen China der Wirtschaftsreform über Demokratisierung der staatlichen Organe zu diskutieren, registrierten indes China– Experten in den letzten Monaten. Wie nie zuvor werden gegenwärtig kontroverse Diskussionen von Parteimitgliedern im staatlichen Fernsehen ausgestrahlt. Anschließend kommt es zu Abstimmungen über das Ergebnis der Unterredung. Und dabei wird, was sehr ungewöhnlich für China ist, nicht einheitlich votiert, berichten Ausländer und Chinesen, die erst in den letzten Wochen aus dem Reich der Mitte zurückkehrten. Dennoch ist dieses Vorgehen in der KPCh offenbar zwischen Reformbefürwortern unter Deng Xiaoping und Reformgegnern um Chen Yun heftigst umstritten. Bei der letzten Plenartagung des ZKs der KPCh Ende September haben die Kader um Deng deshalb auch bei der Verabschiedung eines Papiers zur „politischen Kultur“ eine Schlappe erlitten. Wie Hongkonger Journalisten meinen, könnte das umstrittene Dokument ein erster Ansatz der Deng–Fraktion gewesen sein, auch innerhalb der KP für eine zaghafte Demokratisierung einzutreten. In diesem Zusammenhang müssen auch die Studentenproteste von Hefei gesehen werden. In China gibt es nämlich so gut wie keine spontanen Massendemonstrationen. Die Studentenproteste vom Dezember 1985 gegen die „japanische Invasion“ mit Konsumgütern im Reich der Mitte etwa, entpuppten sich danach als Machwerk der Sprösslinge von „gesäuberten“ Deng–Gegnern. Man darf also gespannt sein, wo es in China in den nächsten Monaten weitere Demos für die „fünfte Modernisierung“ gibt.