„Einer von uns“ in aussichtsloser Position

■ Sondermaßnahmen sollen wenigstens im „Rau–Land“ Wahldebakel verhindern / Demoskopen schreiben die SPD ab / Chance zum Plebiszit für Rau verspielt / Goethe gegen Goethe / „Wer sich allzu grün macht, den fressen die Ziegen“

Von Jakob Sonnenschein

Düsseldorf (taz) - „Einer von uns, gewissermaßen einer aus der Mitte Deutschlands muß Kanzler werden.“ Diese Botschaft trachten die in der Bonner SPD–Baracke giftig genannten „NRW–Linge“ den Wählern im „Rau–Land“ ab sofort näher zu bringen. Indes, „einer von uns“ wird nicht Kanzler, und die „zusätzliche Mobilisierung“, die die beiden Rau–Berater Wolfgang Clement und Bodo Hombach am Donnerstag abend vor Journalisten in Düsseldorf erläuterten, ist bestenfalls geeignet, den Schaden für Rau im „Stammland“ einigermaßen zu begrenzen. Anders kann man die Zahlen, die Klaus Liepelt vom Godesberger Infas–Institut der Runde darlegte, nicht interpretieren. Ganze 38 48 CDU–Demoskopin Noelle–Neumann sieht die SPD gar bei 34 Zwar sind die Zahlen in NRW für Rau wesentlich freundlicher, doch der Bundes–Trend wird immer bedrohlicher. Nicht ausgeschlossen, daß auch „wir in NRW und unser Ministerpräsident“, diese sorgsam geplante und tatsächlich identitätsstiftende SPD– Kampagne der vergangenen Jahre, in den Vertrauensverlust– Strudel der Bundes–SPD hineingeraten könnte. Noch wollen in NRW bei der Bundestagswahl 45 CDU wählen. Ginge es um die Landtagswahl, sieht Infas die SPD gar bei 49 und die CDU bei 39 und das ist für Rau brisant - auch hier deutet der Trend nach unten, nur nicht so dramatisch wie im Bund. Stoppen und umkehren will man diese Entwicklung mit einer Kampagne, die jeden potentiellen SPD–Wähler in die Wahlkabine treiben soll. Wahlenthaltungen, das wissen die Sozis, führten in Hamburg zu einem Fiasko. „Wir in Nordrhein–Westfalen werden bei der Bundestagswahl dabei sein. Wir stimmen für Rau“, lautet einer von sechs „guten Vorsätzen“, die demnächst zusätzlich auf den großen Plakatwänden zu sehen sein werden. Im Kino wird eine Leihgabe der schwedischen Sozialdemokraten, ein exzellent gemachter Werbefilm, Stimmung machen. Motto: „Wir in NRW wählen gegen die Ellbogengesellschaft.“ Für den Bund, da sind sich die Wahlforscher ausnahmsweise mal einig, „ist die Koalitionsmehrheit nicht mehr zu gefährden, wenn kein Wunder geschieht“, so Manfred Güllner, Chef des Dortmunder Forsa–Instituts, zur taz. Klaus Liepelt von Infas „hält es für schwer vorstellbar, daß die SPD noch die CDU einholt“. Liepelt li stete die Sünden der Bonner SPD– Führung auch gleich auf. „Die CDU hat Interesse gehabt, eine Themenwahl zu führen, und die SPD ist ihr entgegengekommen.“ Die einzige Chance der SPD, die Schwäche des Kanzlers zu nutzen, habe die Partei selbst verspielt. Liepelt: „Wenn man ein Plebiszit macht, dann kann man eben nichts anderes machen als dieses Plebiszit.“ Güllner: „Im Wahlkampf muß ich das nehmen, was ich habe, und die SPD hatte nichts anderes als Rau.“ Auch wenn es die Linken innerhalb und außerhalb der SPD schmerzt, die Argumente der Wahlforscher bestechen. 50 % des Wahlvolkes wußte im September nicht einmal, daß eine Bundestagswahl bevorsteht. Wer vor diesem Hintergrund Wahlkampf mit Aufklärung verwechselt, wie etwa die Glotz–Truppe in Bonn, der mag zwar die Moral auf seiner Seite haben, einen Wahlkampf gewinnen kann er nicht. „Man hat den Eindruck“, so Liepelt, „daß die SPD den Rau herausnimmt. Sie macht im Bund etwas ähnliches wie in Hamburg, nur noch in einem etwas größeren und weniger gekonnten Ausmaß.“ Vernichtender kann man ein Wahlkampfkonzept wohl kaum kritisieren. Dabei steht fest, daß die „NRW– linge“ es so ähnlich sehen wie Liepelt, auch wenn Bodo Hombach pflichtgemäß kommentierte: „Ich teile all das nicht.“ Schlechte Nachrichten für Kanzlerkandidat Rau, der am Abend, aus London kommend, sich der Runde in der SPD–Landesgeschäftsstelle anschloß. Die war gerade mit einem Wahlplakat der Grünen beschäftigt. „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, doch Grün des Lebens goldner Baum.“ Dies, so die Grünen, sei Goethes Kommentar zum Thema „Mehrheit“. Die SPD wird mit Goethe antworten: „Wer sich allzu grün macht, den fressen die Ziegen.“