Brasilien: Streiks gegen Preiserhöhungen

■ Der Streikaufruf der beiden großen brasilianischen Gewerkschaftsverbänden wurde am Freitag unterschiedlich befolgt / Massive Militärpräsenz in den Großstädten / Unterschiedliche Zielsetzungen von CUT und CGT/ /Vorläufige Bilanz der Gewerkschaften positiv

Von Hans Wagner

Rio de Janeiro (taz) -In einem Klima der Einschüchterung staatlicher Repression gegen die Gewerkschaftsverbände und nach einer mehrtägigen von der Regierung verordneten Zensur der Berichterstattung über die Streikvorbereitung hat am Freitag ein 24stündiger Generalstreik die Produktion und das öffentliche Leben in Brasilien teilweise lahm gelegt. Die beiden großen Gewerkschaftsverbände CUT und CGT, in der etwa 30 Mio. Arbeiter und Angestellte organisiert sind, reagierten damit auf die jüngst verabschiedeten Maßnahmen der Regierung zur Wirtschaftsreform. Vier Tage nach den Parlamentswahlen hatte Präsident Sarney empfindliche Preiserhöhungen, u.a. für Brennstoff und Strom verordnet. Besonders schwer sind davon die Lohnabhängigen betroffen, da die Preiserhöhungen nicht der offiziellen Inflationsrate zugerechnet werden. Die Löhne werden nur dann automatisch der Inflationsrate angepaßt, wenn diese die 20–Prozent–Marke erreichen. Präsident Sarney hat zur Durchführung der Maßnahmen von seinem Recht Gebrauch gemacht, Gesetzesdekrete zu erlassen. Dieses Mittel ist in der Vergangenheit häufig von den Militärregierungen angewendet worden, um das Parlament zu umgehen. Bei seinem Amtsantritt hatte Sarney erklärt, die Politik der Gesetzesdekrete werde für immer der Vergangenheit angehören. Die massive Präsenz der Militärs in den Großstädten unterstrich am Freitag die politische Bedeutung des Streiks. Im ganzen Land kontrollierten bewaffnete Einheiten des Heeres strategisch wichtige Punkte, wie Flughäfen, Bahnhöfe, wichtige Straßen und öffentliche Gebäude. Über hundert Personen wurden vorläufig festgenommen, darunter Gewerkschaftsfunktionäre und Streikposten. Die vorläufige Bilanz der Gewerkschaften war insgesamt positiv. So wurde der Streikaufruf in den Großstädten Brasilia, Goiania, Salvador und Porto Alegre nahezu zu hundert Prozent befolgt. Im ABC–Dreieck in Sao Paulo, dem größten Industriezentrum des Landes, lag die Produktion still, während in Rio und Sao Paulo, den größten Städten Brasiliens, der öffentliche Verkehr und andere Dienstleistungsbetriebe weitgehend normal funktionierten; in Sao Paulo hatte die Stadtverwaltung am Vortag den Busfahrern eine Lohnerhöhung von 30 Prozent versprochen, falls sie sich nicht am Streik beteiligten. In einer ersten Stellungnahme hat Präsident Sarney den Gewerkschaften vorgeworfen, sie behinderten den Demokratisierungs prozeß. Er bekräftigte gegenüber der Tageszeitung Folha de Sao Paolo, daß die Regierung nicht von ihrem wirtschaftspolitischen Kurs abweichen wird. CUT und CGT haben verschiedene Zielsetzungen in diesem Streik. Die CGT, in der hauptsächlich der linke Flügel der Regierungspartei PMDB organisiert ist, legt ihr Schwergewicht auf das Problem der Auslandsverschuldung und fordert ein Moratorium. In der Frage der Wirtschaftspolitik ist die CGT bereit, in einem von der Regierung vorgeschlagenen Sozialpakt mitzuarbeiten. Die CUT, die enge Kontakte zur PT (Arbeiterpartei) unterhält, lehnt diesen Sozialpakt entschieden ab, weil sie glaubt, daß die gegenwärtige Regierung nicht in der Lage ist, die Interessen der Arbeiterklasse zu vertreten. Sie fordert die Zurücknahme der Wirtschaftsreform. In einer gemeinsamen Pressekonferenz haben die beiden Vorsitzende der CUT und CGT, Meneguelli und Joaqinzao, unterstrichen, daß es gelungen sei, der Regierung zu zeigen, daß sie keine wirtschaftspolitischen Entscheidungen ohne die Arbeiter treffen kann. „Die Arbeiterbewegung“, so Meneguelli, „ist stark genug, die Regierung an den Verhandlungstisch zu zwingen.“