Fraga Iribarnes Rücktritt als Rührstück

■ Die Integrationsfigur der spanischen Rechten hat aufgegeben / Von der Liebe der Spanier zum sterbenden Stier / Bislang sind keine Alternativen zu Fraga in Sicht

Aus Madrid Hella Schlumberger

Geweint hatten sie, demonstriert, Fähnchen geschwenkt: „Spanien braucht dich!“ - „Wenn du gehst, gehen wir auch!“. Parteibücher zerrissen, sich die Kehle heiser gebrüllt. Vergeblich. Sein Entschluß stand fest an diesem 2. Dezember, das heißt, er hatte eigentlich schon zwei Monate vorher festgestanden. Der 64jährige Fraga Iribarne, Präsident der Alianza Popular trat als Chef der spanischen Rechten zurück. Vordergründiger Anlaß: das schlechte Abschneiden seiner Coalicion Popular bei den Wahlen im Baskenland. Von ihren sieben Sitzen im 75sitzigen Parlament hatten sie fünf verloren. Kein Hindernis wolle er jetzt sein bei der Erneuerung der Partei und der Einigung der Rechten wie in den übrigen Ländern Europas - diese Erklärung hatte er vom Fenster des Parteibüros in der Calle Genova hinunter der Menge vorgelesen (und auch ein paar Tränen dabei zerdrücken müssen). Ein Rührstück? Nach dem ersten emotionalen Protest setzte bei seinen Anhängern kühles politisches Kalkül ein. Gleichgesinnte und Gegner versuchten ihn umzustimmen. Man erinnerte sich plötzlich, was man an ihm hatte. Es hagelte Anrufe und Telegramme, doch Fraga blieb fest. Warf das Handtuch. Ging als Führer, blieb als Abgeordneter (“Wenn ihr mich wollt“). Tat jedenfalls etwas Endgültiges. Sehr männlich und sehr entschlossen. Sehr spanisch, fanden die Spanier. Nur schlechter Ersatz für die Vaterfigur Fassungs– und führerlos stand die spanische Rechte plötzlich da. Verwaist, verwitwet. Hatte ihre „Reinamadre“ verloren, die „Königinmutter“, und Vaterfigur zugleich. Ein Ersatz mußte schnell gefunden werden, wiewohl jemand mit Charisma weit und breit nicht zu sichten war. Als Interims– Sprecher der Partei wurde Miguel Herrero y Rodriguez de Minon ein paar Tage später bis zum nächsten außerordentlichen Parteikongreß (spätestens im März 1987) bestimmt. Brillant und liberal sei er, wurde verbreitet. Flugs bekam er das Etikett „starker Mann“ übergestülpt. Die Alianza Popular, sagte er, müsse der Eckstein einer neuen Koalition werden, in der Regierung (das allerdings nimmt ihm im Augenblick niemand ab) oder in der Opposition. Die Wählerstimmen seien in der rechten Mitte zu holen, und Hauptziel sei die Entmachtung der sozialistischen PSOE. Obwohl er nicht den Mythos von den „zwei Spanien“ wiederbeleben wolle. Dann sagte er noch etwas Erstaunliches: „Die wichtigste Lektion, die die spanische Rechte von der Linken zu lernen hat, ist, sich gut zu organisieren.“ Das war wieder kein Programm, keine inhaltliche Aussage, in letzter Zeit der Hauptmangel der spanischen Rechten. „Die Freiheit zu produzieren und zu konsumieren“ war allein eben etwas mager. Der Fraga war wenigstens noch ein Kerl gewesen vom alten Schlag. Arbeitsbesessen, jähzornig, populistisch, ein „Patron“. Rosa Montero von der Tageszeitung El Pais, gewiß nicht im Geruch, ein Fraga–Fan zu sein, untersucht in einem Kommentar denn auch das Phänomen: „Warum lieben jetzt alle Fraga?“ Das sei wie beim Stierkampf, findet sie heraus: Wenn der Stier den Todesstoß bekommt, wenn er, der Kraftvolle, der Koloß, blutüberströmt zusammenbricht, dann regt sich etwas im Spanier. Dann verwandelt sich Gegnerschaft in Freundschaft, aus Abneigung wird Bewunderung, aus Haß fast so etwas wie Liebe. (Ob das Nicht–Stierkampf–Begeisterte nachvollziehen können?) Diese Tendenz bestimmt die Presselandschaft seit dem Rücktritt Fra gas: noch einer, den der Moloch „Politik“ verschlungen hat. Wie zuvor schon die Parteiführer Suarez (UCD) und Carrillo (KP). Dolchstoßlegenden feiern fröhliche Urstände: Nicht die Basken seien in ihrem verbohrten Nationalismus schuld an der Wahlschlappe, sondern die Leute aus den eigenen Reihen. Allein hätten sie ihn gelassen bei seinem Wahlkampf an der „Nordfront“, als Bürgermeister hätten sie ihn nach Madrid abschieben wollen. Dann hätten Kirche und Banken ihre Unterstützung abgezogen. Es sei dem „alten Fuchs“ also gar nichts anderes übriggeblieben als abzudanken. Daß er allerdings damit fast wieder seinen Gipfel an Beliebtheit erreichen würde, das hatte sich keiner so vorgestellt. Im galizischen Villalba, dem Heimatdorf Fragas, freuen sich die alten Freunde schon darauf, im Cafe Roca wieder mit ihm Domino zu spielen. „Er hat sich mit den falschen Leuten umgeben, das ist alles“, sagen sie. Zuerst mit, dann ohne Franco Die politische Karriere des streitbaren Galiziers Manuel Fraga–Iribane, den selbst innerhalb der Partei nur wenige duzen, hatte 1956 begonnen, als er nach einem mit Preisen und Ehrungen überhäuften Studium (Jura, Politik, Volkswirtschaft) ins Erziehungsministerium berufen wurde. Doch erst als Franco ihn 1962 zum Informations– und Tourismusminister ernannte, (“Ich trete an, um Spa niens Ehre zu verteidigen“, was immer das heißen mochte) fiel das volle Licht der Öffentlichkeit auf ihn. Er verantwortete 1966 ein Pressegesetz, das die Vorzensur abschaffte (und die Selbstzensur durch die Hintertür einführte). In seine Zeit fiel auch der Tourismus– Boom, der Spaniens schönste Strände Spekulatoren und Betonburgenbauern überantwortete.Sein bekanntestes Foto: als er im Winter 1966 zusammen mit dem US–Botschafter Duke im Mittelmeer bei Palomares badete, um zu beweisen, daß von den drei bei einem Flugzeugzusammenstoß verlorenen amerikanischen Atombomen keinerlei Radioaktivität zu befürchten sei. 1969 trat er nach Meinungsverschiedenheiten mit den Technokraten der Franco–Regierung zurück. Bevor er als Botschafter 1973 nach London ging, war er an der Universität und für die Brauerei „El Aguila“ tätig. Nach Francos Tod beginnt die zweite Karriere 1975, mit Franco gings zu Ende, kam Fraga mit großen Hoffnungen zurück nach Madrid, wurde er doch bereits als „Mann des Übergangs“ gehandelt. Aber wieder reichte es nicht ganz: Er wurde nur Regierungs– und Vize–Innenminister in der Arias–Navarro–Regierung, bis Adolfo Suarez die Präsidentschaft übernahm. Trotz der beiden Sündenfälle Fragas in dieser Zeit (die Toten, die auf das Konto der Polizei gingen bei den Auseinandersetzungen zwischen Carlistengruppen in Montejurra und denen zwischen Arbeitern und Polizei in Vitoria) gehörte er zu den Politikern, die der Rechten das Funktionieren von Demokratie näherbrachten, gegen die sie sich mit aller Macht sträubte. das ist zweifellos sein historisches Verdienst. Glorie und Niedergang 1976 gründete er endlich „seine“ Partei, die sich bei den ersten allgemeinen Wahlen 1977 als Alianza Popular (AP) zur Wahl stellte und 16 von 350 Sitzen bekam. Fraga arbeitete an der neuen demokratischen Verfassung mit, wenn ihm auch regionale Autonomie und die Abschaffung der Todesstrafe für Terroristen ein Dorn im Auge blieben. 1979 brachte die „Coalicion Democratica“ (um seine AP herum) es freilich nur noch auf neun Sitze. Erst als 1982 die UCD (Union del Centro Democratico) von Suarez zerfiel, wurde Fragas Partei AP zu einer Alternative für Mitte und Rechts. Die PSOE gewann zwar die Wahlen, doch gemeinsam schafften die Christdemokraten der PDP und die kleine liberale Partei 106 Sitze. Sein Name und nicht Programm stand für fünf Millionen Stimmen. Kirche und Banken sahen in ihm den Verteter ihrer Interessen, überhäuften ihn mit Gunstbeweisen. Fraga war der Führer der Op position, und Suarez fing wieder ganz klein mit seiner neugegründeten CDS an, nachdem ihn Militär, Kirchen, Banken und sogar sein Schulfreund, König Juan Carlos, hatten fallen lassen. Vier Jahre dauerte Fragas Glanzzeit als Oppositionsführer. Insgeheim hoffte er ja, nach den Juniwahlen 1986 im Moncloa–Palast einziehen zu können. Aber die PSOE hatte mit dem Regierungsbonus ihre Macht gefestigt, war auch mehr und mehr nach rechts gerückt (so daß sogar Suarez CDS sich von ihr Stimmen angeln konnte). Über die fünf Millionen Stimmen der letzten Wahlen würde Fraga nicht hinauskommen, sahen die Banken. Spürten auch, daß sie ihn eigentlich nicht weiter brauchten. Seine Enthaltung bei der Abstimmung über Spaniens Verbleib in der NATO hatte sie verkühlt. Er war nicht mehr ihr Mann, kämpfte auch nicht, wie er sollte, für die Privatschulen (das Privileg der spanischen Kirche). Überhaupt war er in der Zeit cleverer, agiler Managertypen ein Fossil. Dazu noch ein nicht–korrumpierbares. Im Juni 1986 bekam die AP nur einen Sitz weniger als zuvor (105), aber Auflösungserscheinungen zeigten sich bereits nach kurzer Zeit: Die Christdemokraten unter Alzaga setzten sich ab, es blieben nur noch 80 Sitze, einige andere gingen durch Abwandern von Mandatsträgern ebenfalls verloren. Die Banken drängten auf Rückzahlung ihrer Kredite, Fraga lehnte rundweg ab. Als letzter Termin wurde Januar 1987 festgelegt. Fraga und seiner Partei stand das Wasser tatsächlich bis zum Hals. Wie die Geier warteten die anderen Parteien auf den Kadaver der AP. Die Entscheidung brachten die Baskenwahlen. Der Mann, der früher Stierkampfarenen gefüllt hatte, konnte nicht einmal mehr das Kino in Vitoria füllen. Folgt Spanien dem mexikanischen Vorbild? „Das blockierte Spanien“ heißt das letzte seiner über 20 Bücher, und der Untertitel lautet: „Wie überwinden wir die Krise ohne sozialistische Utopien?“ Die Rechte scheint es nicht zu wissen, im Gegensatz zur Regierungspartei, deren Stabilität anscheinend im Augenblick nicht zu erschüttern ist. Man redet in Spanien bereits von einer „PRI–sierung“: dem Entstehen eines faktischen Einparteien–Staats wie der mexikanischen PRI seit der Revolution 1917. Die Rechte hat in ihrer jetztigen Form für die nächste Zeit in Spanien ausgespielt. Die Linke freilich auch.