Themendiarrhöe

■ Sozialdemokratische Wahlkampfkonzepte fünf vor zwölf

Es sollte vielleicht daran erinnert werden: Vor kaum sechs Wochen bot die SPD auf dem Nürnberger Parteitag ideologische Geschlossenheit, Linksruck und Rau mit der geballten Faust in der Mitten. Die Euphorie der Genossen war unübersehbar. Jetzt scheint die Partei mit masochistischer Lust ihrer eigenen Niederlage entgegenzuschwanken. Man stelle sich einen Spitzenkandidaten vor, der drei Wochen vor der Wahl hauptsächlich betont, an Rücktritt denke er nicht. Nach dem Hamburg–Desaster übernahm die Glotz– Mannschaft den Wahlkampf, mit dem Versprechen eines neuen Professionalismus. Jetzt sollten die Themen gestrafft werden Raus Plädoyer für soziale Wärme sollte abgelöst werden durch Kampf gegen den Kohl–SDI–Komplex. Jetzt ist der Rhein an der Reihe. Dem Spiegel zufolge will die SPD einen Rhein– Tag veranstalten, an dem die Rauschen „Menschen“ symbolisch sauberes Wasser in den Strom schütten sollen. Die SPD guckt sich - verspätet - ein Betroffenen–Ritual ab, das allenfalls für die Betroffenen als symbolische Praxis gegen die Ohnmacht einen Sinn hätte. Die Themen, nach denen die SPD in letzter Minute frenetisch greift, stehen längst jenseits wahltaktischer oder medienpolitischer Manöver. Die Leute haben sie im Kopf und eine gesellschaftliche Polarisierung steht an. Das rot–grüne Gespenst geht umso mehr um, je mehr die SPD davor flieht. Und schließlich ist die Volkspartei untergegangen, wenn sie fünf vor zwölf die eigenen Anhänger zur Mitarbeit an einer glimpflichen Niederlage auffordern muß. Klaus Hartung