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Grüne bringen Licht ins Kommissionsdunkel

■ Die Bundestags–Enquetekommission Gentechnologie hat ihre Arbeit abgeschlossen / Die Öffentlichkeit blieb von den Anhörungen meistens ausgesperrt Grüne stellen vorzeitig ihr Sondervotum vor / An der einseitig orientierten Technologiepolitik wurde scharfe Kritik geübt / Kontroverse um Freisetzungsversuche

Aus Bonn Oliver Tolmein

Wolf–Michael Catenhusen (SPD), der Vorsitzende der Bundestags–Enquetekommission zur Erforschung von „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ meinte es gut mit den Grünen: Vor der Weihnachtspause das Sondervotum zum Abschlußbericht vorzulegen lohne sich nicht, da interessiere sich doch niemand dafür. Sinnvoller sei es, das Sondervotum gemeinsam mit dem offiziellen Abschlußbericht der Enquetekomission vorzustellen. Der Termin dafür: der 19. Januar 1987, sechs Tage vor der Bundestagswahl. „Besser kann man die Ergebnisse der Enquetekommission gar nicht verstecken“ kommentiert die grüne Abgeordnete Heidemarie Dann diese Planung. Die Scheu vor der Öffentlichkeit ist bei der 1984 eingerichteten Enquetekommission nicht neu. Ihre Arbeit verrichtete sie weitgehend im Verborgenen. Von insgesamt 18 Anhörungen und Expertengesprächen waren lediglich vier öffentlich. Die intern geäußerte Begründung für diese Abschottung: Man befürchtete vereinfachende, falsche und unerwünschte Berichte in der Presse. „Diese Zurückhaltung der Kommission scheint darauf zu gründen“, beurteilt das heute vorgelegte Sondervotum der Grünen diesen Hang zur Verschwiegenheit „daß Positionen zwischen Vertretern bestimmter Interessengruppen ausgehandelt werden sollten, ohne der Öffentlichkeit Einblick in diese Prozeße zu geben“. Nützlichkeitsprüfung und Risikopotential Aber nicht nur die Abschottung nach außen, auch die Ausgrenzung kritischer Positionen wird von den Grünen scharf kritisiert. Bereits bei der Auswahl der Sachverständigen, auf deren Informationen die Arbeit aufbauen sollte, sei restriktiv vorgegangen worden. Weder sei die Kommission bereit gewesen zum Thema Genom–Analyse einen Vertreter von Behinderteninitiativen, die sich intensiv mit Humangenetik beschäftigten, als Experten einzuladen, noch habe die Kommissionsmehrheit bei anderen Anhörungen Interesse an der Einladung kritischer Experten gezeigt. Dahinter steckt nach Auffassung der Grünen ein äußerst reduziertes Verständnis von Technologiepolitik. Ausgegangen wird nicht von einer Analyse der Defizite, die sich in den Bereichen Gesundheits– oder Ernährungsforschung angesammelt haben, um davon ausgehend Lösungswege zu suchen. Im Gegenteil: die Entwicklungen der in diesem Fall vor allem im biotechnologischen Bereich engagierten Firmen bewirken erst das eigene Handeln und setzen gleichzeitig den Maßstab dafür. Die Grünen setzen dieser bestenfalls „risiko–orientierten Technologiefolgeabschätzung“ ihr Konzept einer „vergleichenden Technologiebewertung“ entgegen: „Auch Technologien mit relativ geringem Risikopotential sollten dann nicht weiter verfolgt werden, wenn sie einer eingehenden Nützlichkeitsprüfung nicht standhalten“. Im Fall der Gentechnologie mag dieser Streit, angesichts des enormen Risikopotentials, das sie in sich birgt, akademisch anmuten - für künftige technologiepolitische Auseinandersetzung könnte der im Sondervotum von den Grünen unternommene Versuch einer an Nützlichkeitskriterien orientierten Bewertung der Gentechnik wichtig sein. Scharfe Kritik an der Freisetzung Die aktuelle Kontroverse entzündet sich an der Frage der Freisetzung gentechnisch manipulierter Lebewesen. Daß es angesichts des derzeitigen internationalen Forschungsstandes dringend erforderlich wäre, ein umfassendes Moratorium durchzusetzen, hat selbst der Vorsitzende der Enquete–Kommission, Catenhusen, anläßlich eines USA Besuches im Gespräch mit Jeremy Rifkin, einem der wichtigsten dortigen Gentechnik–Kritiker zugestanden. Im Abschlußbericht der Enquetekommission ist, dem grünen Sondervotum zufolge, davon nichts geblieben. Die Freisetzung gentechnisch manipulierter Tiere und Pflanzen wird für weitgehend unbedenklich gehalten - und sogar die Freisetzung in bestimmter Weise manipulierter Mikroorganismen (sogenannte Deletionsmutanten und Bakterien, bei denen Regulationsgene verändert wurden) soll nicht verboten wer den. „Es gibt keine wissenschaftlich haltbaren Ergebnisse, die solche Ausnahmen bei der Freisetzung rechtfertigen könnten“, kritisiert die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Grünen, Paula Bradish, den Mehrheitsbericht, und das Sondervotum verweist auf die verheerenden Folgen, die die Aussetzung fremder Organismen in ein neues ökologisches Umfeld haben kann. Durch die Aussetzung des Nilbarsches im Victoriasee beispielsweise sind dort etliche der einheimischen Fischarten verdrängt worden. „Am schwersten wiegt jedoch die Tatsache, daß die meisten gentechnisch manipulierten Organismen, einmal in die Umwelt freigelassen, nie wieder eingesammelt werden können. Lebewesen haben andere Qualitäten als Chemikalien oder radioaktivität. Sie überleben, verändern sich und können sich letztendlich über den ganzen Erdball ausbreiten. Es gibt kaum einen Nutzen, der die potentiellen Kosten solcher Schädigungen des Ökosystems rechtfertigen könnte.“ Profite für die Industrie Einen Nutzen vom Einsatz der Gentechnologie hat vor allem die, wesentlich von den großen Chemie–Konzernen beherrschte, gentechnische Industrie. Die wenigen potentiell nützlichen Anwendungsgebiete der Gentechnologie - zum Beispiel die Entwicklung neuer Impfstoffe - stehen zwar in der PR–Arbeit an erster Stelle, eine von den Grünen zitierte Studie des US–amerikanischen Office of Technology Assessement (OTA) belegt aber, daß von 130 im pharmazeutisch–gentechnischen Bereich tätigen US–Firmen ganze sieben sich an der Impfstofforschung beteiligen. Profitabler ist die Ausschöpfung des Rationalisierungspotentials der neuen Technik und der Versuch mit ihrer Hilfe die Produktionsausbeute zu steigern wie z.B. im Bereich der Nahrungsmittelverarbeitung. Gentechnologie wird hier einerseits eingesetzt, um die in der Nahrungsmittelproduktion eingesetzten Mikroorganismen (Hefen z.B.) vielfältiger einsatzfähig zu machen, andererseits um neue Le bensmittelzusatzstoffe, andere Herstellungsverfahren für Vitamine oder Eiweiße entwickeln zu können. Derartige Projekte haben aber nicht nur Folgen für unsere Ernährung, sie bergen auch einigen ökonomischen Konfliktstoff in sich. So arbeitet der Unilever–Konzern seit geraumer Zeit daran, Kakao im Bioreaktor gentechnisch herzustellen. Die bisherigen Anbauländer in der Dritten Welt würden Exporte und die dort lebenden Menschen eine der wenigen Arbeitsmöglichkeiten verlieren. Dort wo die Produktion biologischer Waren nicht ganz ins Labor verlagert werden kann, streben die Auftraggeber der Gentechniker an, durch die Manipulation des Saatgutes noch ertragreichere und gegenüber Schädlingen und Schadstoffen widerstandsfähigere Pflanzen zu entwickeln. Damit wird der Prozeß der Industrialisierung der Landwirtschaft weiter vorangetrieben - ein Prozeß, der aufgrund der damit verbundenen Rationalisierung, des enormen Einsatzes chemischer Mittel zu Dünge– und Schädlingsbekämpfungszwecken auch erhebliche Folgen für das Ökosystem sowie für die Sozialstrukturen insgesamt hat. Eine öffentliche Diskussion über diese komplexen Folgen der neuen Technologie anzuzetteln, wäre die große Chance der Enquetekommission gewesen. Das Risiko schien den Gentechnikbefürwortern wohl zu groß. Das Sondervotum der Grünen liefert wenigstens wichtige Ansatzpunkte für eine Debatte vor großem Publikum. Das Sondervotum, in dem auch die Bereiche Gesundheit, rechtliche Bewertung der Gentechnik, Folgen für die internationale Arbeitsteilung, Arbeitssicherheit u.a. abgehandelt werden,ist bei der Bundestagsfraktion der Grünen, Heidemarie Dann, Hochhaus im Tulpenfeld, 53 Bonn 1 zu beziehen.

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