Die große Angst vor Aldo Moros Geist

■ Ein mittelmäßiger Film über die Entführung des christdemokratischen Politikers 1978 wird zum Skandal Christdemokraten und Kommunisten wollen nicht an ihre damalige Rolle erinnert werden

Aus Rom Werner Raith

Die Entrüstung ist fast einhellig, das Urteil vernichtend - so einig waren sich Italiens Politiker noch selten. Von „Machwerk“ bis „Beleidigung einer ganzen Partei“ - der christdemokratischen - ist die Rede, von einem „Produkt der Roten Brigaden“ bis zur „Verunglimpfung des Papstes“: Ursache für den Wirbelsturm ist der eben angelaufene Film „Il caso Moro“, der die 55 Tage zwischen der Entführung des christdemokratischen Parteipräsidenten durch die Roten Brigaden und seiner Ermordung 1978 rekonstruiert. Daß der Film alte Wunden aufreißen könnte, war absehbar - daß er fast für ein Erdbeben sorgen sollte, wohl nicht. Tatsächlich ist die Aufregung wohl weniger durch den konkreten Inhalt des Films bedingt als durch den Zeitpunkt, zu dem er erscheint. Eine Umfrage von La Repubblica hat ergeben, daß die meisten Anti– Moro–Film–Schreier das Opus noch gar nicht gesehen haben. Sie regen sich deshalb so auf, weil derzeit in Italien die Weichen für eine neue Politik gestellt werden. Da gerät manches alte Gleichgewicht aus der Balance, und viele wollen an dies und das aus der eigenen Vergangenheit nicht gerne erinnert werden - selbst wenn der Film am Ende gar nicht darauf Bezug nimmt. Vier Dutzend Briefe aus dem „Volksgefängnis“ Aldo Moro wurde am 16. März 1978 von einem Kommando der Roten Brigaden auf dem Weg zum Parlament gekidnappt, seine fünfköpfige Eskorte ermordet. Kaum im „Volksgefängnis“, lief Moro jedoch wieder zu seiner traditionellen Form auf - er war der gewiefteste Taktierer in der politischen Welt Italiens, dazu auch noch der „am wenigsten in die Machenschaften des Palazzo, des Machtkartells verwickelte“, wie ihn Pasolini beschrieb - also machte er sich mit gewohnter Energie daran, seine Wächter und ihre Hintermänner ebenso zu destabilisieren wie die politische Welt „draußen“, seine Parteikollegen und seine Koalitionspartner (von den Sozialisten bis zu den Kommunisten), mit denen er soeben eine Sach–Koalition unter dem Namen „Regierung der nationalen Solidarität“ zusammengebastelt hatte. Moro schrieb mehr als vier Dutzend Briefe - ob derer sich nicht nur die Politiker spalteten, sondern auch die Roten Brigaden: Am Ende wurde der DC– Mann gerade ermordet, als die Politiker bereit waren, den Forderungen der Roten Brigaden nachzugeben. Zahlreiche Entdeckungen und Enthüllungen begleiteten die späteren Ermittlungen. Es stellte sich heraus, daß die Roten Brigaden längst nicht nur von italienischen Geheimdiensten infiltriert waren, sondern auch von der CIA und vor allem vom israelischen Mossad, daß die Fahnder nichts getan hatten, um das „Volksgefängnis“ aufzufinden (tatsächlich ist seine Lage bis heute nicht bekannt). Schließlich kam auch zum Vorschein, daß alle Geheimdienstchefs, viele Top–Politiker, Minister, Parteivorsitzende, Richter, Finanziers über die kriminelle Geheimloge „Propaganda 2“ auch im Fall Moro Drähte zogen. Mäßiges Interesse an der Freilassung Vor allem aber - und hier liegt wohl ein Hauptgrund für die Entrüstung über das Wiederaufrühren der alten Geschichte - erwies sich, daß gerade Moros Parteifreunde, ebenso wie die von ihm geförderten Kommunisten, nur mäßiges Interesse an seiner Freilassung gezeigt hatten. Den Kommunisten saß die Angst im Nacken, daß sie als „Terroristenfreunde“ abgestempelt würden. Bei Moros Parteikollegen lag der Grund für mangelnden Einsatz aber eher darin, daß Moro ganz und gar untypisch für das politische System Italiens war, daß sein persönliches Machtstreben nur mäßig entwickelt war, daß er Lustgewinn eher aus Verhandlungserfolgen bezog denn aus Intrigen und der Übertölpelung anderer - und daß er kaum korrumpierbar war: sein Hang, analog zu seinen Kollegen das große Geld zu machen, war nur sehr schwach ausgeprägt. Kein Wunder, daß so mancher Spitzen–Christdemokrat Moro eher als Stein des Anstoßes empfand, daß sie ihn allenfalls wegen seiner Verhandlungskunst im Parteienkarussell duldeten. Die Versuchung, den Dingen „ihren Lauf“ zu lassen, als ihn die Roten Brigaden entführt hatten, war für die meisten Christdemokraten wohl recht groß. Die Hardliner wollen nicht erinnert werden So ist es durchaus verständlich, daß der derzeitige Außenminister Andreotti dem Film wenig abgewinnen kann - er schickt sich gerade an, im Frühjahr die Nachfolge des vereinbarungsgemäß zurücktretenden Sozialisten Craxi anzutreten. Da mag er nicht gerne daran erinnert werden, daß er zur Zeit der Moro–Entführung (als von Moro installierter Regie rungschef) der „Garant“ für die „Linie der Härte“ war. Die Ablehnung jeglicher Verhandlungen mit den Entführern lieferte denn auch für die „Hardliner“ der Roten Brigaden (um Mario Moretti) den Vorwand, Moro gegen den Willen der „Verhandler“ (wie Valerio Morrucci) umzubringen. Auch der andere Aspirant der Christdemokraten fürs Ministerpräsidentenamt im Frühjahr und derzeitige Stellvertreter Craxis im Kabinett, Arnaldo Forlani, mag Filme solcher Art nicht - muß doch darin zwangsläufig die Loge „Propaganda 2“ auftauchen, deren Entdeckung er 1981, als Ministerpräsident, vergeblich zu unterdrücken versucht hatte. Auch die Kurie mag sich vor dem Film gefürchtet haben - war doch der Papst nur sehr spät - und nachdem ihn Moro aus dem „Volksgefängnis“ heraus explizit aufgefordert hatte - zu einem „Appell der Humanität“ zu bewegen gewesen: Moro war dem Heiligen Stuhl seit seinem Eintreten für eine DC– PCI–Koalition suspekt gewesen. Lediglich PSI–Chef Bettino Craxi mag mit dem Film–Erscheinen zufrieden sein, wird doch damit wieder bekannt, daß er damals für Verhandlungen war, die möglicherweise Moros Leben gerettet hätten. Ein Film, der ausklammert So rannten die Italiener gespannt in die Kinos, nachdem sich der Skandal schon im Vorfeld so mächtig angehört hatte und das staatliche Fernsehen RAI sogar den Moro–Darsteller Gian Maria Volonte aus der „Domenica in“– Talkshow ausgeladen hatte. Wer die 7.000 Lire für die Kinokarte ausgab, wurde freilich enttäuscht: Der Film will einfach niemandem wehtun; die Angst, von den - bis auf Moro, PCI–Chef Berlinguer und Geheimdienstchef Santovito - allesamt noch lebenden Hauptfiguren der Affäre mit Beschlag belegt zu werden, hat stärker Regie geführt als der sonst eher deftige Schnellschußfabrikant Giuseppe Ferrara. Ausgelassen wurden nahezu alle Aktionen der „Hardliner“ um Andreotti - nicht einmal die besonders bezeichnende Episode kommt vor, wo alle öffentlichen Gebäude nach Auffinden der Leiche Moros Halbmast flaggten - nur nicht Andreottis Regierungssitz Palazzo Chigi. Ausgespart sind auch die Motive und die Willensbildung bei den ängstlichen Kommunisten, die alsbald noch härtere „Hardliner“ wurden als Andreotti selbst; versteckt in einer mickrig–dümmlichen Szene bleiben die bewiesenen Einflüsse der „Loge Propaganda 2“ weitgehend unverständlich. Und nun gar die Roten Brigaden: Obwohl ihre Diktion, ihre Auseinandersetzungen und Ziele im Originalton in den zahlreichen Prozessen zu studieren waren, setzt der Film ausgerechnet ihre trockenen Kommuniques in Dialoge und produziert hölzerne Gespräche, fern jeglicher Wahrscheinlichkeit. So wie er ist, dieser Film, in seiner Abstraktheit und seiner Bravheit, wäre er nicht einmal für ein Mini–Skandälchen gut. Daß er zum Skandal wurde, zeigt eher das schlechte Gewissen der damaligen Hauptdarsteller - und daß sie noch immer Angst haben müssen, es könnten Dinge ans Licht kommen, die sie längst mit Moro „beerdigt“ glaubten.