P O R T R A I T Der Lütje–Lagen–Politiker

■ Der Hannoveraner Egon Franke war Kopf der SPD–Kanaler, aber nach Schmidts Abgang schwindet deren Bedeutung: Franke zieht sich in Stammkneipe der Parteilinken zurück

Egon Franke, der Meister des Brückenschlages - dies gilt nicht nur für den letzten Beruf des nunmehr 73jährigen Hannoveraners als Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen. Unerwartete Wendunge allen Parteigenossen, sucht der gesellige Franke mehr und mehr Trost im Allerheiligsten der SPD– Linken. Seine Stammkneipe ist seit einigen Monaten die „Provinz“ im Bundesviertel, an deren Tresen der Parteinachwuchs schon mal mit Grünen Kollegen Kabinettsposten für das nächste Jahrtausend ausmauschelt. Ob Franke gar darüber räsonniert selbst zu den Grünen überzulaufen - als späte Rache dafür, daß ihn die SPD in seinem Prozeß fallen gelassen hat wie eine heiße Kartoffel? In der Provinz hört jedenfalls stets der Nachbar des Ex– Ministers - wer auch immer das sein mag - zu später Stunde im schönsten Hannoversch: „Ich bin fertich mit der Pachtei“. Wie auch immer, es ist unbestreitbar, daß der Kneipengang stets ein ernstzunehmender Faktor in der Politik des Egon Franke war. Was die Kanaler zusammenhielt, war vor allem Egon Franke und sein „Kessenicher Hof“. Hier formierte er - gemeinsam mit Georg Leber und seinem Landsmann Helmut Rhode - die Regimenter, die im innerparteilichen Clinch Kanzler Schmidt gegen die Anfechtungen der Sozialisten von Karl– Heinz Hansen bis Carsten Voigt verteidigte. Und hier hatte derjenige das Sagen, der am besten das Spezialgetränk der Leinestadt „Lütje Lagen“ beherrschte: Bier– und Schnapsglas übereinanderhalten, rein und der Schlips muß dabei auch noch trockenbleiben. Nach Schmidts Abgang verlor die Kessenicher– Hof–Politik zunehmend an Wichtigkeit. Das Heft der innerparteilichen Nicht–Linken nahm Jochen Vogel in die Hand - unbestreitbar in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil Frankes. Franke hatte dabei auch noch das Ministeramt verloren, in dem er zum Schluß schlicht den Überblick verlor. Er zog sich tagsüber immer häufiger zum öffentlichen Erschöpfungsschlaf an einen der Tische des Bundeshausrestaurants zurück - vor einem vollen Glas Bier. Die letzten der dreizehn Jahre als innerdeutscher Minister waren ein klassisches Beispiel dafür, wie ein Amt bis ins letzte ausgesessen wird. Von seinen Kanalern zum Bleiben gedrängt, versuchte Franke den Einfluß dieser Gruppe am Kabinettstisch zu sichern. Und für Helmut Schmidt verbot es sich, am Stuhl Frankes zu sägen. Hierbei spielte der Respekt vor dem einstigen Widerstandskämpfer und KZ–Insassen eine große Rolle. Ob dabei noch aktiv Deutschlandpolitik gemacht werden konnte, war eher untergeordnet. Seine Parteikarriere hatte Franke nach nur kurzer Gefangenschaft bereits 1945 begonnen, als er in Hannover zur Gruppe um Kurt Schumacher und Annemarie Renger stieß. Und sozialdemokraten älterer Semester wissen, wie er als Lokalmatador stets den Wahlkreis Hannover Stadt für die SPD sicherte: Das Schützenfest bis zum Zapfenstreich im Bierzelt aussitzen. Ulli Kulke