Gedämpfter Optimismus im „Anderen Amerika“

Washington (taz) - Es war ein ungewöhnlich warmer Dezembertag in Washington, sogar die Sonne beschien am Nachmittag für kurze Zeit die übliche Szenerie der Dauerdemonstranten vor dem Weißen Haus. Zwei, drei Pappstellwände fordern dort schon seit Jahr und Tag den ewigen und globalen Frieden; ein bärtiges Individuum in mehreren Schichten wasserdichter Plastikhaut bewacht seine Botschaft rund um die Uhr. Auch gegenüber nichts Ungewöhnliches. Inmitten scharfer Sicherheitsmaßnahmen bereiten Fernsehteams ihre Aufnahmen für die Abendnachrichten vor, in denen es hauptsächlich um eines gehen wird - die inzwischen „Irangate“ getaufte Affaire, die die Reagan–Administration ins Schleudern gebracht hat. Was bedeutet die politische Krise für ihr weiteres Programm? Kann die Opposition gegen Reagans Contra– oder Star–Wars–Abenteuer bereits aufatmen? Kein Grund zum Jubel für die Opposition Auf der Suche nach Antworten finde ich zehn Straßenblocks weiter, in einem kleinen zweistöckigen Backsteinhaus, das Büro der „Coalition for a New Foreign and Military Policy“, ein Bündnis zahlreicher Friedens– und Internationalismus–Gruppen. „Nein, zum Feiern sehen wir bisher keinen Anlaß“, weist Eleanor Milroy, die die Basisarbeit der Zentralamerika–Gruppen betreut, eine entsprechende Vermutung zurück. „Im Gegenteil, je länger ich die Entwicklung betrachte, desto nervöser werde ich. Seit die Contra–Connection zu dem Skandal um den Waffenverkauf an den Iran hinzugekommen ist, sind alle nur noch mit der Frage beschäftigt, wer wann was gewußt hat. Die Politik selbst wird gar nicht mehr infrage gestellt.“ Tatsächlich hat die Debatte sich in den letzten drei Wochen deutlich verschoben. Während Reagan zu Beginn gezwungen war, seinen Schwenk in der Iran–Politik vor den Bürgern zu rechtfertigen - der Versuch muß als gescheitert betrachtet werden - richtet sich der Ärger im Folgenden vor allem gegen das Fehlverhalten einzelner Reagan– Unterlinge und gegen deren Aussageverweigerung vor dem Kon greß. Während es zu Beginn danach aussah, als würde Reagans Präsidentschaft in Windeseile in einem Watergate–ähnlichen Strudel untergehen, quält sich das offizielle Washington nun schon die dritte Woche durch eine endlose Folge von Anhörungen und Aussagen, die wenig Antworten bringen, aber manch neue Fragen aufwerfen. „Eine moderne Form der chinesischen Wasserfolter“ nannte Reagan–Freund Paul Laxalt die Prozedur. Reagans Glaubwürdigkeit ist angeschlagen - aber er ist längst nicht handlungsunfähig. Eskalationsgefahr aus Torschlußpanik In den Zentralamerika–Gruppen wird außerdem über die Möglichkeit spekuliert, daß eine in die Enge getriebene Reagan–Administration den Krieg in Nicaragua weiter eskaliert. Die Kämpfe zwischen nicaraguanischen und honduranischen Truppen am letzten Wochenende waren da nur ein warnendes Vorzeichen. Eleanor Milroy sieht auch wenig Chancen, die Bewilligung der zweiten Rate der Militärhilfe an die Contra zu verhindern. „Die Demokratische Partei hat nicht genug Mut, um wegen dieser Gelder einen echten Kampf zu führen“. 40 der 100 Millionen Dollar Militärhilfe kann die Administration erst ab dem 15. Februar 1987 auszahlen. Zwar könnte eine Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses die Gelder sperren, doch hat Reagan die Macht, diesen Beschluß per Veto aufzuheben. Niemand glaubt, daß dann eine Zwei–Drittel–Mehrheit zusammenkäme, um die Millionen doch noch zu verweigern. „Wir werden versuchen, Druck auszuüben; wir werden vor allem darauf hinweisen, daß die Contra dank Oliver North die 40 Millionen bereits bekommen hat“, sagt Milroy. Friedensbewegung ohne Schwung und Ideen Im „Washington Peace Center“, einem chaotischen Büroraum im Gebäude einer protestantischen Kirchengemeinde, laufen derweil die Vorbereitungen für eine kurzfristig anberaumte Demo zum Weißen Haus. Sie soll sich gegen die geheime Contra–Finanzierung und die vor kurzem begonnene Ausbildung antisandinistischer Söldner in Florida richten. Demos sind nicht mehr unbedingt der heißeste Renner in der Hauptstadt der Reagan–Revolution. „Wir hatten sieben Demos in den letzten fünf Monaten, immer mit etwa 500 Leuten“, sagt eine der vier Freiwilligen, die die Arbeit im Peace Center zu bewältigen versuchen. „Die Bewegung hat fast allen Schwung verloren, und außerdem ist sie ziemlich zerstritten. Manche wollen endlich mehr machen als zivilen Ungehorsam, andere sind noch nicht mal dazu bereit. Die Kirchen wollen nicht mit den Kommunisten, und die Gewerkschaften nicht mit den civil disobedience–Leuten.“ Zur Zeit bereiten verschiedene Friedensgruppen Protestaktionen für Mitte Januar vor, wenn in Florida die erste „Trident“–Rakete getestet werden soll, ein extrem zerstörerisches, auf U–Booten zu stationierendes Interkontinentalgeschoß. Darüber hinaus plant man bereits für die Frühjahrsaktionen im April. Auch Tom Gardner von der Wissenschaftler–Vereinigung „Union of Concerned Scientists“ sieht den Kampf gegen die Reagan–Revolution noch lange nicht als gewonnen an; seine Organisation leistet vor allem Aufklärungsarbeit gegen das SDI– Projekt. Gardner stimmt zu, daß SDI noch am stärksten mit der Glaubwürdigkeit der Reagan–Administration gekoppelt ist. „SDI kann der Öffentlichkeit nur verkauft werden, wenn diese glaubt, daß das Schutzschild auch funktioniert. Das Vertrauen ist sicher gesunken, doch was dies heißt, wenn der nächste Haushalt zur Debatte steht, weiß ich noch nicht einzuschätzen.“ Eine politische Krise, eine Glaubwürdigkeitskrise, vermittelt sich allenfalls indirekt dem Getriebe des Staatsapparats. Ein Präsident braucht zum Regieren nicht unbedingt eine Zustimmungsrate von mehr als fünfzig Prozent, er kann seine Vorhaben selbst dann durchsetzen, wenn jeder zweite denkt, er habe an entscheidenden Punkten gelogen. Reagans Image für zukünftige Generationen dürfte jedoch irreparablen Schaden genommen haben - Amerikas politisches Idol der achtziger Jahre ist gestürzt. Stefan Schaaf