Weder mit den Sandinisten noch mit der Contra

■ Die Contra verschleppte sechs nicaraguanische Kriegsdienstverweigerer aus grenznahen Flüchtlingslagern. Jetzt warten sie in der mexikanischen Botschaft in Tegucigalpa darauf, das Land zu verlassen. Über 30.000 Flüchtlinge leben in Contra–kontrollierten Gebieten

Aus Honduras Rita Neubauer

Ein Jahr lang versteckte sich Jorge in der nicaraguanischen Stadt Granada bei Freunden. Dann fiel der Jura–Student, wie er erzählt, Leuten aus der Nachbarschaft auf. „Ich hatte Angst, daß sie mich verpfeifen würden, weil ich weder studierte noch arbeitete. Also bin ich abgehauen nach Honduras.“ Der 21jährige sitzt in Jeans und weißem Hemd mit Sonnenbrille vor einem Holzhaus im Flüchtlingslager Jacaleapa in Honduras nahe der nicaraguanischen Grenze. Im Innern spielt ein Radio die neuesten Schlager. Die Hütte von rund 15 Quadratmetern bewohnen acht junge Männer und ein Mädchen. Ihre Herkunft macht eine Wandinschrift deutlich: „Wir sind stolz, Nicaraguaner zu sein.“ Jorge gehört zu einer Gruppe von rund 40 jungen Männern, die sich fast alle aus demselben Grund nach Honduras abgesetzt haben: Sie wollen ihren Militärdienst in Nicaragua nicht leisten. „Wir sind gegen die Sandinisten in Nicaragua, und wollen für diese Regierung auch nicht unser Leben verlieren.“ Und sein Leben, da ist sich Jorge sicher, sei nichts mehr wert, wenn er erst einmal gegen die antisandinistische Contra kämpfen müsse. Für die andere Seite, die Konterrevolutionäre, zu den Waffen zu greifen, lehnen er und seine Freunde aber ebenso ab. Was bleibt, ist das Leben in einem Flüchtlingslager, das sie zum Nichtstun und zum Empfang von Almosen verdammt. „Wir helfen, das Lager sauber zu halten, lernen etwas Englisch und unterrichten selbst ein wenig. Aber das ist auch schon alles. Im Grunde“, so Jorge, „ist es hier sehr langweilig.“ Die Gruppe ist bei den rund 4.000 Nicaraguanern im Lager allerdings nicht gut angesehen. Jorge: „Die Bauern mögen uns nicht, weil wir eine höhere Schulbildung haben und aus der Stadt kommen. Hier mißtraut jeder jedem, der anders ist.“ Das Mißtrauen gegen die Gruppe nahm noch zu, als sechs Männer im September aus dem Flüchtlingslager verschwanden. Mitglieder der antisandinistischen Contra–Organisation FDN, die seit 1981 die Regierung in Nicaragua von Honduras aus bekämpft, hatten sie mit Hilfe honduranischer Militärpolizei verschleppt. Sie wurden in der Hauptstadt Tegucigalpa verhört, gefoltert und anschließend Mitarbeitern des UNO–Hochkommissariats für Flüchtlinge, UNHCR, das die Lager betreut, übergeben. Der Grund für die Entführung und Mißhandlung: Die sechs sollen angeblich von den Sandinisten in das Lager als Spitzel eingeschleust worden sein. Seit Anfang Oktober befinden sich die Männer in der mexikanischen Botschaft in Honduras und warten darauf, daß sie das Land verlassen dürfen. Wie die Botschaft bestätigt, ist dies nicht der erste Fall, daß Nicaraguaner dort Schutz suchen. In Honduras ist es ein offenes Geheimnis, daß Mitglieder der FDN in den Flüchtlingslagern ein– und ausgehen. Dort leben häufig ihre Familien, und dort werden auch neue Männer rekrutiert. Ein Gesprächsthema ist die von den USA unterstützte Contra in Jacaleapa allerdings nicht - zumindest nicht mit Fremden. Manuel Torres, seit zwei Jahren im Lager: „Ich bin mit meiner Familie hierhergegangen, weil wir weder in Nicaragua noch hier in Honduras außerhalb des Lagers eine Lebensgrundlage hatten. Hier bekommen wir regelmäßig Lebensmittel und bezahlen nichts für das Haus. Das Schlimmste ist nur, daß ich nichts arbeiten kann.“ Befragt, ob er für die Contra kämpfen würde, schüttelt er nur den Kopf und flüster: „Bis jetzt hatte ich Glück, und meine Söhne sind zu jung.“ Auch Maria Aguilar de Gutierrez lenkt ab, als die Rede auf die Antisandinisten kommt. „Mein Jüngstes ist krank. Die Medikamente taugen hier nichts, und die Ärztin im Lager–Hospital kann mir auch nicht helfen.“ Sie kam mit ihrer achtköpfigen Familie Anfang Dezember aus „Nueva Nicaragua“ - Neues Nicaragua - wie die Contra ein honduranisches Territorium an der Grenze zu Nicaragua nennt. Ihr Mann blieb wegen der „Arbeit“ in dem rund 400 Quadratkilometer großen Gebiet, das seit nahezu drei Jahren von der Contra kontrolliert wird und wo diese ihre Nachschub–Camps unterhält. Dort, so schätzt ein UNHCR–Vertreter, halten sich inzwischen 34.000 und 39.000 Nicaraguaner auf. Nicht immer freiwillig. Ein lateinamerikanischer Diplomat: „Als im Frühjahr eine große Anzahl neuer Flüchtlinge die Grenze überquerte, hinderte sie die Contra erst einmal daran, weiter ins Landesinnere von Honduras zu marschieren. Sie siedelte sie entlang der Grenze an, benutzte sie zum einen als Puffer gegen mögliche Angriffe der Sandinisten und rekrutierte zum anderen gleichzeitig neue Männer.“ Erst seit Ende Oktober die Kampfhandlungen in der Grenzregion zunahmen und auch die Sandinisten kilometerweit auf honduranisches Gebiet vordrangen, verlassen vermehrt Frauen und Kinder „Nueva Nicaragua“ und begeben sich in den Schutz der Lager. Denn, so ein Beobachter, die Contra weiß, daß sie die Männer nur halten kann, wenn deren Familien in Sicherheit sind.