Richter kappen Nachfluchtgründe

■ Für Bundesverfassungsgericht ist politische Betätigung im Exil nur noch ausnahmsweise Asylgrund / Flüchtlinge in der Bundesrepublik zur politischen Passivität verurteilt

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Asylbewerber in der Bundesrepublik können in Zukunft ihr Asylbegehren nicht mehr damit begründen, daß sie aufgrund ihrer politischen Betätigung in der Bundesrepublik mit Verfolgung in ihrem Heimatland rechnen müssen. Diese sogenannten „Nachfluchtgründe“, die nach der bisherigen Rechtsprechung gültig waren, sollen nach einer gestern veröffentlichten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur noch in Ausnahmefällen einen Asylgrund darstellen. Auch die Betätigung in einer Exilorganisation, die auf die Zustände im Heimatland der Flüchtlinge aufmerksam macht, soll nach dem Willen der Verfassungsrichter keinen Schutz mehr durch das Asylrecht begründen. Mit dieser Entscheidung hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts unter dem Vorsitz von Wolfgang Zeidler (SPD) einer der umstrittensten Regelungen des neuen Asylverfahrensgesetzes vorab seinen höchstrichterlichen Segen erteilt. Das ab 1. Januar gültige Asylverfahrensgesetz sieht u.a. eine generelle Streichung der Nachfluchtgründe vor. Von dieser - verfassungsrechtlich umstrittenen - Regelung weicht das jetzige Urteil des Zweiten Senats nur geringfügig ab. „Bei subjektiven Nachfluchttatbeständen, die der Asylbewerber nach Verlassen des Heimatstaates aus eigenem Entschluß ge schaffen hat (sogenannte selbstgeschaffene Nachfluchttatbestände), kann eine Asylberechtigung in aller Regel nur dann in Betracht gezogen werden, wenn sie sich als Ausdruck und Fortführung einer schon während des Aufenthaltes im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar bestätigten festen Überzeugung darstellen“, heißt es in dem Leitsatz der Verfassungsrichter. Zu deutsch: ein Asylbewerber muß nachweisen, daß er schon in seinem Heimatstaat offen erkennbar politisch aktiv war. Flüchtlinge, die sich erst im Exil zu offenem politischen Engagement oder zum Beitritt in eine Exilgruppe entscheiden, tun das nach Ansicht der Richter „aus eigenem Entschluß“, sprich: auf eigenes Risiko und sind deshalb durch das Asylrecht nicht geschützt. Die Bundesverfassungsrichter wichen mit ihrer gestrigen Entscheidung deutlich von der bisher gültigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ab. Das für eine sehr restriktive Asylrechtsprechung bekannte Bundesverwaltungsgericht hatte bisher immer noch eine Lanze für die Nachfluchtgründe gebrochen. Ihrer Meinung nach ist für Asylgewährung nicht die Motivation des Flüchtlings für sein politisches Engagement entscheidend, sondern allein die Frage, ob er aufgrund dieses Engagements bei einer Rückkehr in die Heimat politische Verfolgung zu befürchten habe. Noch am 21. Oktober dieses Jahres hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, daß auch von dem Asylbewerber bewußt provozierte Nachfluchtgründe einen Asylgrund darstellen können. Für die politischen Flüchtlinge in der Bundesrepublik bedeutet die gestrige Entscheidung der Bundesverfassungsrichter eine Verpflichtung zu politischer Passivität. Denn in ihrer Heimat könnte nach einer möglichen Abschiebung gerade ihr politisches Engagement in der Bundesrepublik ein Verfolgungsgrund sein.